Zum Hören: Veritas Vincit oder Guttenplag reloaded
Nun habe ich es geschafft und meinen Text, mit dem ich als Slammerin debütierte, aufgesprochen. Hoffentlich lässt sich die Datei abspielen und ist die Tonqualität in Ordnung. Es ist ein Versuch:
Nun habe ich es geschafft und meinen Text, mit dem ich als Slammerin debütierte, aufgesprochen. Hoffentlich lässt sich die Datei abspielen und ist die Tonqualität in Ordnung. Es ist ein Versuch:
Am Lehrstuhl für Angewandte Linguistik der Universität Bremen entstand unter Federführung von Prof. Dr. Hans Krings ein Online-Ratgeber, der Studierende – und sicherlich nicht nur diese – beim wissenschaftlichen Schreiben unterstützt. In sieben Phasen von A wie Vorbereiten bis G wie Gestalten gibt es Tipps zum gesamten Schreibprozess.
Beim schnellen Überfliegen – ich habe den Schreibcoach erst vor Kurzem entdeckt, er ist wohl auch noch nicht allzu lange online – hatte ich den Eindruck, dass hier wirklich zu allen Fragen Tipps und Hinweise zusammengestellt sind: zu Schreibmotivation und Schreibschwierigkeiten genauso wie zu richtigen Zitierweisen, Formatierungshinweisen und noch vieles mehr. Besonders gefreut habe ich mich, als ich den Tipp gefunden habe, kreatives Schreiben zu praktizieren – das allein reicht nicht, um gute Hausarbeiten abzugeben, aber eine Möglichkeit das eigene Schreiben zu verbessern und Spaß daran zu entwickeln ist es durchaus.
Auf 310 Einzelseiten ist noch viel mehr zu finden. Damit man sich gut zurecht findet und, wenn man mitten in einem Schreibprojekt steht, schnell die Seiten anklicken kann, die einem in der aktuellen Situation weiter helfen, gibt es unter dem Button „Neueinstieg“ Situationsbeschreibungen und Einstiegsvorschläge. Der Bremer Schreibcoach – offensichtlich eine gute und schnelle Hilfe für das wissenschaftliche Schreiben.
Ein guter Schreiber ist der, von dem es gute Texte gibt. Auch wenn im Einzelfall diskutiert werden kann, wann ein Text gut ist, ist so weit alles klar. Ein Teil von Schreibtraining ist, mit Menschen daran zu arbeiten, was Texte gut macht, und wie eigene Texte überarbeitet werden können, so dass sie gut werden.
Das ist wichtig und hilfreich, keine Frage. Aber: Bevor Texte verbessert werden können, müssen sie zunächst einmal entstehen. Wie geht das eigentlich, das Schreiben? Wie stelle ich es an, dass ich von einer vagen Idee oder einem mehr oder minder konkreten Schreibauftrag zu einem fertigen Text komme? Wie kann ich diese Schreibarbeit professionell angehen, möglichst effizient und effektiv erledigen?
Ein guter Schreiber schreibt souverän, er beherrscht den Schreibprozess. Das ist die Grundvoraussetzung für beständig gute Texte. Es geht darum, den Überblick über die verschiedenen Arbeitsschritte, Perspektiven, Haltungen beim Schreiben zu haben und die eigene Arbeitsweise mit ihren Vor- und Nachteilen zu kennen. Wer weiß, wie er anders als gewohnt an die einzelnen Schritte des Schreibens herangehen kann und vielfältige Methoden kennt, kann damit umgehen, wenn es mal nicht so flutscht.
Prozesswissen macht handlungsfähig: Ein guter Schreiber kann gelassen unterschiedliche Schreibaufträge annehmen und weiß auch, was nicht geht. Er beendet angefangene Texte (pünktlich) und plant Schreibprojekte so, dass Zeit zum Überarbeiten bleibt, damit die Texte auch gut werden können. So macht Schreiben Spaß.
Den Schreibprozess im Griff haben heißt professionell schreiben. Gewusst wie, so entstehen gute Texte. Oder?
Wer akademisches Schreiben unterrichtet, kommt an der Frage Ich oder Nicht-Ich nicht vorbei. Manche ermuntern leidenschaftlich dazu, zumindest im Rohentwurf viele Ichs zu verwenden, beispielsweise Judith Wolfsberger in ihrem Buch „Frei geschrieben.“ (Wien u.a., 2009). Andere schreiben zwar, dass es kein generelles Ich-Verbot (mehr) gibt, verweisen aber auf verschiedene Möglichkeiten, das Ich zu umgehen wie Otto Kruse im Klassiker „Keine Angst vor dem leeren Blatt“ (Frankfurt/Main, 2007).
Studentisches Schreiben funktioniert anders als wissenschaftliches Schreiben. Studierende schreiben in der Regel für ihren Dozenten, der sie benotet, nicht als Teil der wissenschaftlichen Diskursgemeinschaft. Sie sind jung und gerade dabei, wissenschaftliches Arbeiten und Denken zu erlernen, zu üben und erste Erfahrungen darin zu sammeln. Klare Regeln, wie „Schreibe nicht ich, weil es um die Argumentation geht und nicht um dich“, geben Orientierung.
Andererseits verlieren viele Studierende an den Hochschulen schnell die Freude am Schreiben, weil sie sich, ihre Lebenswelt und ihre Gedanken nicht darin wiederfinden. Dozierende klagen über Texte, bei denen Zitate aneinandergereiht sind ohne kritische Beurteilung, ohne eigenständige Denkleistung – von Angst vor der eigenen Meinung ist die Rede.
Mit oder ohne Ich löst das Problem nicht. Studierende sollen und dürfen sich eigenständig mit Sachverhalten auseinandersetzen. Zum Nachdenken über und Ausloten eines Themas, zum Fragen stellen und um Antworten ringen kann es hilfreich sein, viel zu schreiben und viel Ich zu schreiben. Im nächsten Schritt geht es darum zu lernen, wissenschaftliche Texte zu formulieren, die Konventionen einzuhalten, die fachwissenschaftliche Sprache zu benutzen und passende Formulierungen auszuwählen. Das kann weder von allein noch von heute auf morgen passieren.
Eine spannende Diskussion der Ich-Frage habe ich im Blog Shitty First Drafts gefunden, der mich – ganz sujektiv – allein schon wegen des Titels anspricht und durch seine klare Argumentation überzeugt.
Es wird viel gejammert über fehlende Schreibkompetenz. Wenn ich erzähle, dass ich Menschen im Schreiben trainiere, klagt schnell jemand, dass er letztens wieder so einen fürchterlichen Behördenbrief oder eine unverständliche Gebrauchsanweisung vor sich hatte. Und im Zusammenhang mit Pisa und Schulbildung sind Klagen über junge Menschen, die nicht schreiben können, häufig.
Das Nicht-Schreiben-Können betrifft dabei, seltsamerweise, oft andere – die sollten das lernen, nicht ich. Und es ist eine Zustandsbeschreibung: Es gibt wenig Schreibkompetenz. Doch woher kann und soll Schreibkompetenz kommen?
Ich gehe davon aus, dass Schreiben gelernt werden kann – sonst hätte ich schließlich meinen Beruf verfehlt – und dass Schreiben auch gelernt werden darf. Viele von uns schlagen sich irgendwie durch, bekommen die Texte, die geschrieben werden müssen, mehr oder weniger gut hin. Die allerwenigsten Menschen, abgesehen vielleicht von Berufsschreibern wie z.B. Journalisten, haben aber richtig gelernt zu schreiben. Sicherlich, in der Schule wurde ihnen beigebracht, die Buchstaben korrekt zu malen, die Rechtschreibung und Zeichensetzung zu beherrschen, im Idealfall. Später wurden Aufsätze und Erörterungen geschrieben und benotet. Schreiben ist aber weit mehr, ist Kommunikation und Ausdruck, Stil und Form, Projektmanagement und Textwissen.
Schreiben lernen heißt für mich, den Überblick über den komplizierten und anstrengenden Schreibprozess zu haben, zu wissen, was man tut, was man tun will und wie man es tut und noch tun kann. Schreiben lernen heißt auch, die Probleme, Schwierigkeiten und Fehler, die auftreten können, zu kennen und damit umgehen zu können. Dafür dass Schreiben in diesem Sinn nach wie vor (in Deutschland) kaum gelehrt wird, schlagen sich viele Menschen erstaunlich erfolgreich damit durch. Fairer wäre es, wenn mehr systematische Lern- und Übungsmöglichkeiten geschaffen würden, wenn jedem Einzelnen klar wäre, dass Schreiben gelernt werden kann und darf. Dann müsste niemand mehr seine Schwierigkeiten beim und mit dem Schreiben als persönliches Versagen und individuelle Unfähigkeit ansehen. Dann könnten diejenigen, die sich bisher einigermaßen gut durchschlagen, bewusst, gezielt, professionell schreiben. Und sinnvoller als Jammern wäre es allemal.
Manchmal stecken wir bei einem Schreibprojekt so richtig fest. Keine Idee, keine Formulierungen, nur unpassende Wörter kommen uns in den Sinn. Statt vor dem Bildschirm zu verzweifeln und das, was es von dem Text schon gibt, zu verschlimmbessern oder gar zu löschen, darf Bewegung ins Spiel gebracht werden.
Dazu sehe ich drei Möglichkeiten:
1. den Mund bewegen: Greifen Sie zum Telefonhörer oder gehen Sie in die Küche. Dem ersten, auf den Sie treffen, erzählen Sie, worüber Sie schreiben sollten oder wollen und warum es nicht weiter geht. Reden Sie einfach drauf los – normalerweise muss gar niemand antworten. Ideen kommen beim Sprechen.
2. spazierengehen: Wenn der Geist unbeweglich wird, hilft es, den Körper zu bewegen. Gehen Sie spazieren, walken oder joggen Sie, je nach dem welche Geschwindigkeit für Sie die richtige ist. Ich habe es zwar nicht ausprobiert, aber ich würde wetten, Fahrradfahren, Inlinern oder Langlauf funktionieren genauso. Nehmen Sie eine halbe Stunde Auszeit vom Schreibtisch, lassen Sie sich frische Luft um die Nase wehen und entspannen Sie. Dabei nehmen Sie Ihr Schreibprojekt zwanglos mit, aber konzentrieren Sie sich lieber auf Ihren Körper oder die Umgebung. Ideen kommen im Vorbeigehen.
3. den Ort wechseln: Als drittes können Sie Ihr Notizbuch oder den Laptop auch mit raus aus dem Büro nehmen. Bewegen Sie sich hin zu einem Ort, der Sie inspiriert. Wo können Sie frisch und unbeschwert neu an Ihren Text herangehen? Bevorzugen Sie das Murmeln und die Musik in einem Cafe oder die Stille des Waldes? Hilft Ihnen das Fließen eines Flusses oder die Übersicht auf einem Berg? Haben Sie einen Lieblingsort zum Schreiben oder entdecken Sie für jedes Schreibprojekt mit seinen eigenen Stockungen einen anderen Schreibraum für sich? Ideen kommen aus der Umgebung.
Bewegung lässt Schreiben wieder in Fahrt kommen oder sorgt von vorne herein für den richtigen Schreibfluss. Außerdem ist es ein guter Ausgleich für all die sitzende Schreibtätigkeit – Ihr Rücken wird es Ihnen danken.
Gerade bin ich dabei, mich auf meine Schreibwerkstatt für wissenschaftliches Schreiben an der Uni Konstanz einzustimmen, die morgen wieder beginnt. Dabei bin ich erneut über ein Zitat von Gabriele Ruhman, der Leiterin des Schreibzentrums der Ruhr Universität Bochum gestolpert. Sie sagt, man müsse beim wissenschaftlichen Schreiben vor allem lernen, dass man dabei nie auslerne.
Dieser Satz kann ziemlich demotivierend wirken, kann man ihn doch so verstehen, dass das wissenschaftliche Schreiben eben so schwer ist, dass man es nie richtig beherrscht. Ich finde den Satz in zweierlei Hinsicht tröstlich:
1. entlastet mich das, denn ich muss nicht glauben, dass es mein persönliches Versagen ist, wenn meine wissenschaftlichen Texte noch nicht optimal gelingen. Es gilt weiterzulernen, zu wachsen; es gibt ein Recht, zu üben und sich zu entwickeln.
2. wissenschaftliches Schreiben bleibt spannend, denn ich kann mich und meine Texte immer weiter verbessern. Ich muss nicht fürchten, irgendwann in ermüdende Routine zu verfallen, das Schreibenmüssen als lästige Pflicht anzusehen. Es bleibt eine Herausforderung, die Neues aus mir herauskitzelt.
Besonders schön illustriert ist diese Aussage in den Podcasts des Schreiblabors der Uni Bielefeld. Hier erzählen WissenschaftlerInnen von Ihrem Schreiben, den Schwierigkeiten, vor denen sie dabei stehen, und den Lösungen, die sie für sich gefunden haben. Die Tipps, die sie geben, kommen direkt aus der Schreibpraxis und sind nicht nur für wissenschaftlich Schreibende interessant. Nur schade, dass der Blog nicht weitergeführt worden ist.