Schreiben wie … – eine altbekannte Übung

Das Leben ist mal wieder im Kreis gegangen.
Eine Freundin hat den Textanalysator ausprobiert und herausgefunden, sie schreibe wie Thomas Bernhard. Der hat ja einen sehr ich nenne es mal eigenen Stil, so dass ich ziemlich verwundert war. Um mich in meiner Erinnerung zu bestätigen und ihr einen Eindruck davon zu geben, wie sie angeblich schreibt, habe ich direkt ins Buchregal gegriffen – nun gut, ein wenig stöbern und suchen musste ich – und die Erzählung „Gehen“ aufgeschlagen. Dieses Buch wurde mir vor vielen, vielen Jahren von einem Freund geschenkt und ich hatte es gelesen und seither nur noch beim Umziehen in der Hand gehalten.
Wirklich überrascht war ich, als ich 1. die Zeilen entdeckte, die mein Freund mir damals ins Buch geschrieben hatte (der Grund, warum das Buch immer noch im Regal steht?) und 2. als ich da las: „Wenn´s los geht, denkst du an die Schreibphase nach den ersten drei Seiten!?“
Hat er oder habe ich gar damals schon geschrieben? Wussten wir, dass der Stil des Gelesenen auf die eigene Schreibe abfärbt, dass eine beliebte Schreibübung genau darin besteht, zu lesen und in Ressonanz dazu zu schreiben? Hätte ich das Buch von Bernhard schon früher mal aufgeschlagen, hätte ich mir viel studieren sparen können. 😉
Los gehts: Drei Seiten Bernhard lesen oder was auch immer und dann zehn Minuten schreiben. Viel Spaß!

Drei Minuten für 26 Ideen

Klare Vorgaben, Regeln und Zeitdruck ermöglichen Kreativität. Jeder kennt es: Will ich irgendwann einmal in meinem Leben einen Roman schreiben, beginne ich wahrscheinlich nie damit – außer ich erfahre, ich habe nur noch X Wochen zu leben? Muss aber in zwei Stunden das Papier mit meinen Vorschlägen zur Projektgestaltung abgegeben werden, das über eine eventuelle Bonuszahlung für dieses Jahr mitentscheidet, fließen die Worte nur so. Klare, wenn auch vielleicht unsinnige Regeln helfen dabei, die Ideen erst einmal unzensiert aufzuschreiben. Denn der innere Kritiker oder Zensor ist damit beschäftigt, die Einhaltung der Regeln zu überwachen, und kann deshalb nicht bei jeder Idee sein vernichtendes Urteil abgeben.
Eine Möglichkeit schnell viele Ideen oder Gedanken zu sammeln, ist es, ein ABCdarium zu schreiben: Zu jedem Buchstaben des Alphabets wird ein Wort oder Satz gesucht, der damit beginnt. Solche ABCdarien können Schreibideen liefern, Vorwissen oder Vorurteile bewusst machen, Lösungen für Probleme anbieten oder zu einem Listengedicht werden. Um den Zeitfaktor mit einzubauen, kann man sich den Wecker auf drei Minuten stellen oder mit jemand anderem um die Wette schreiben oder auch jedes Mal die Zeit stoppen, wie lange man braucht, um seine persönliche Bestzeit immer wieder zu übertreffen (nach spätestens 10 Minuten würde ich jedoch auf jeden Fall aufhören).
Kommen in drei Minuten zwanzig bis sechsundzwanzig Ideen zusammen und ist eine einzige dabei, die so gut ist, dass sie weiter verwendet werden kann, ist die Produktivität dieser Methode schon besser als sie normalerweise so ist. Und wenn alles nichts hilft, kann man immer noch ein Schimpfwörter-ABCdarium schreiben.

Im Schreiben zu Haus

Zufällig wohl nur für eine, die sich mit Fotografie und Fotografinnen nicht auskennt, habe ich eine großartige Entdeckung gemacht: Der Bildband: „Im Schreiben zu Haus. Wie Schriftsteller zu Werke gehen“ von Herlinde Koelbl. 42 Porträts deutschsprachiger Schriftsteller von Peter Handke bis Ernst Jünger, von Sarah Kirsch bis Christa Wolf sind in diesem wunderschönen Buch versammelt. Herlinde Koelbl fotografierte und sprach mit den Porträtierten zwischen 1996 und 1998, das Buch erschien im September 1998 und ist nur noch antiquarisch erhältlich.
Die Fotografien der Arbeitszimmer, Schreibtische, Hände an der Schreibmaschine, am Laptop oder mit Stift überm Papier stillen die Neugier und geben sinnliche Eindrücke in die Praxis des Schreibens. Gespräche, in denen Herlinde Koelbl ungeniert, aber gut informiert Fragen stellt, zeigen Lust und Qual des Schreibens. Wann schreiben Sie, wo schreiben Sie, fällt Ihnen das Schreiben leicht, wie gehen Sie beim Schreiben vor? – Solche ganz praktischen Fragen laden ein, die eigene Schreibpraxis zu reflektieren und bewusst zu gestalten. Doch am meisten Spaß macht es, bei einem Glas Wein in diesem dicken Buch zu schmökern und dabei das Gefühl zu haben, die Schriftsteller und Schriftstellerinnen ganz privat kennen zu lernen, Ihnen über die Schulter und auch ein wenig in die Seele zu schauen.

Heute schon geschrieben?

Wer schreiben will, muss schreiben. Immer wieder, immer öfter, egal was. Wer nicht schreiben will, sondern muss, darf schreiben: Tag für Tag. Schreiben Sie bei jeder sich bietenden und jeder sich nicht bietenden Gelegenheit. Schreiben Sie am Computer und mit dem Stift auf Papier, langes und kurzes, einzelne Wörter und zusammenhängende Sätze, offizielles und höchst persönliches. Schreiben Sie in Linien oder spiralförmig, morgens, mittags oder abends. Erlauben Sie sich, schreibend herauszufinden, was Sie denken, Fragen schreibend zu beantworten, von denen Sie nicht wussten, dass sie sich stellen.

Kennen Sie Freewriting? Probieren Sie es aus:

Nehmen Sie ein Blatt Papier und den nächstliegenden Stift. Stellen Sie den Wecker Ihres Handys auf 7 Minuten. Legen Sie los: Schreiben Sie auf, was immer Ihnen in den Sinn kommt, schreiben Sie es direkt aufs Papier, heben Sie den Stift nicht ab. Lassen Sie Buchstaben aufs Papier fließen und denken Sie nicht darüber nach, ob Ihre Rechtschreibung korrekt ist oder ob Ihre Gedanken sinnvoll sind. Vielleicht lassen Sie alle Satzzeichen weg oder schreiben Sie alle Wörter klein, um sich von solchen Lappalien nicht von Wichtigem ablenken zu lassen. Wenn Ihnen nichts einfällt, schreiben Sie genau dies hin: Mir fällt nichts ein. Oder wiederholen Sie so lange das letzte Wort, bis Ihre Hand etwas Neues schreibt. Komme, was da wolle, Sie bewegen den Stift übers Papier, bis der Wecker klingelt. Dann machen Sie einen Punkt.

Danach können Sie entscheiden, ob Sie Ihren Text gleich nochmals durchlesen, ihn für ein anderes Mal zur Seite legen oder direkt schreddern. Machen Sie es so, wie Sie selbst es für richtig halten, sorgen Sie aber dafür, dass kein anderer Mensch diesen Text zu Gesicht bekommt. Wenn Sie bei diesem Freewriting eine Idee für einen Text bekommen haben, den Sie schreiben müssen oder wollen, legen Sie am besten sofort damit los. Und wenn Sie mit dieser Übung überhaupt nichts anfangen konnten, investieren Sie doch morgen oder übermorgen nochmals 7 Minuten, bevor Sie abschließend feststellen, dass das nichts für Sie ist.

Ein 7-Minuten-Freewriting bietet sich an, wenn Sie neue Ideen entwickeln wollen, wenn Sie etwas für sich klären wollen, wenn Sie ganz unverkrampft ins Schreiben oder vom Denken ins Handeln kommen wollen, wenn Sie Schreibfluss erleben wollen, wenn Sie ganz nebenbei Ihre Formulierungskünste vergrößern wollen … Statt 7 Minuten können auch 5 oder 10 Minuten eingestellt werden, von einer Schreibzeit von mehr als 20 Minuten wird jedoch abgeraten.

Schreiben bei jeder Gelegenheit muss nicht zwangsläufig ein Freewriting sein. Weitere Ideen dazu in Kürze.

Ein handgeschriebener Brief

Heute hat der Postbote eine Überraschung für mich: Neben Rechnung, Bankwerbung und Burger-Coupons liegt ein rosaroter Umschlag mit Schmetterlingen beklebt. Mein Herz pocht freudig, fast wie frisch verliebt. Direkt draußen vor dem Briefkasten aufreißen oder lieber das Besondere im Sessel zelebrieren? Ich entscheide mich für ein Mittelding: aufreißen, die einzelnen Blätter betrachten, zurückstecken und dann, später in der Wohnung, ganz in Ruhe von vorne bis hinten lesen. Welch ein Fest!
Dieses Glück verdanke ich allein dem Umstand, dass eine Freundin von mir ohne Internetanschluss auf einer Insel weilt. Denn mal ehrlich: Wann habe ich den letzten Brief von Hand geschrieben? Ab und zu eine Postkarte aus dem Urlaub oder wenn mir sehr liebe Menschen Geburtstag feiern und weit weg wohnen. Doch auch da greife ich eher zum Telefonhörer oder schreibe E-Mails. Nichts gegen Computerbriefe: Sie sind leicht zu entziffern, kommen direkt nach dem Senden an und kosten kein Porto; ich kann mein Gegenüber unkompliziert zitieren, lange Texte oder Fotos anhängen oder sogar Textbausteine benutzen.
Briefe sind anders, sind besonders. Ein Brief braucht Zeit und Ruhe, er schreibt sich nicht zwischendurch als Minipause von der Arbeit. Ich wähle bewusst das Papier, den Stift. Ich schreibe anders, anderes, mehr von mir selbst und aus mir heraus. Meine Stimmung zeigt sich auf dem Papier, an der Schrift, die immer unleserlicher wird. Ein Brief muss zur Post gebracht werden und, wenn er ankommt, ist er schon nicht mehr aktuell. Ein abgeschickter Brief ist weg. Manchmal wunderte ich mich schon, was ich geschrieben hatte, als ich eine Woche später eine Antwort auf meinen Brief bekam.
Briefe sind näher am Herzen, menschlich, sinnlich. Manche würden vielleicht sagen ganzheitlicher, mit mehr Beteiligung der rechten Gehirnhälfte. Der Brief mit den Schmetterlingen hat mich flattern lassen. Und den Entschluss gebracht: Ich möchte wieder regelmäßig zum Briefpapier greifen.

Bloggerin?

Oh, jetzt bin ich Bloggerin. War ganz einfach und hat nicht einmal weh getan. Und jetzt muss ich schnell irgendetwas schreiben, sonst … tja, sonst passiert auch nichts.
schreib-t-raum soll, darf, wird wachsen. Ich lasse mich überraschen.