Überarbeitung – wie lang soll ich noch am Text rummachen?

Vielleicht der entscheidende Unterschied zwischen Laien und Profis beim Schreiben: Wie viel Zeit plant jemand für die Textüberarbeitung ein? Ich gehe – quadratisch, praktisch, übersichtlich – von einem Schreibprozessmodell mit vier Phasen aus: Vorbereiten, Strukturieren, Rohtexten, Überarbeiten. Die Arbeitszeit drittle ich: das erste Drittel für die Phasen 1 und 2, das zweite Drittel für das Schreiben des Rohtextes und das letzte Drittel für das Überarbeiten. Hierzu gehören idealerweise: Distanz gewinnen, Feedback einholen, Überarbeitung auf verschiedenen Ebenen, Korrigieren, Fertigstellen und Abgeben bzw. Veröffentlichen.

Nun unterscheiden verschiedene SchreibpädagogInnen unterschiedlich viele Phasen  – Modelle mit drei bis sieben Phasen sind mir bekannt – und benennen sie auch verschieden. Außerdem herrscht bei allen ExpertInnen Einigkeit, dass diese Phasen nur ein Modell sind: Die Praxis sieht viel komplexer aus. Phasen überschneiden und wiederholen sich, Schreibende hüpfen je nach Typ und Strategie zwischen den Phasen hin- und her. Doch für alle ist klar: Ein guter Text entsteht nur durch und erst während der Überarbeitung. Diese braucht Zeit. Dummerweise fehlt genau die Zeit jedoch oft, da Sie eben erst am Ende kommt.

Da hilft nur Einplanen. Das von mir veranschlagte Drittel der Gesamtarbeitszeit für ein Schreibprojekt wird auch von vielen KollegInnen vorgeschlagen, heute habe ich sogar in einem Schreibratgeber für Studierende gelesen, der Rohtext solle nach der Hälfte der zur Verfügung stehenden Zeit fertig sein. Soll ein Text also in einer Stunde fertig sein, muss ich in dreißig oder vierzig Minuten einen Rohtext vor mir haben; habe ich eine Bearbeitungszeit von einem Jahr, fange ich nach sechs bis acht Monaten mit dem Überarbeiten an.

Der Vorteil einer solchen Zeitplanung: Sie sind gezwungen, früh mit dem Formulieren zu beginnen, auch wenn vielleicht noch nicht alles klar ist. So geben Sie sich die Chance, dass der Text sich beim Schreiben entwickelt. Außerdem lässt es sich leichter flüssig voran und ins Unreine schreiben, wenn man weiß, es muss noch nicht perfekt sein, weil Zeit zum Verbessern bleibt. So geht das Schreiben schneller voran. Und wenn am Ende die geplante Überarbeitungszeit doch zu lange sein sollte, umso besser: Sie halten den Abgabetermin ein, haben mit hoher Wahrscheinlichkeit einen richtig guten Text verfasst und haben auch noch Zeit für eine ausgiebige Belohnung.

Von Typen und Tücken

Wissen Sie, wie Sie beim Schreiben vorgehen?
Bis ein Text reif zur Veröffentlichung ist, braucht es eine Menge Arbeitsschritte und ein gutes Projektmanagement. Hilfreich ist es, den eigenen Schreibtyp mit seinen Stärken und Schwächen zu kennen, um typengerecht erfolgreich zu schreiben. Oder aber sich vom Vorgehen anderer etwas abzuschauen, wenn es mal nicht so läuft.
Drei Fragen helfen, dem eigenen Schreibtyp auf die Sprünge zu kommen:

1. Planen Sie Ihren Text oder entdecken Sie ihn beim Schreiben?
Planer leisten die meiste Arbeit, bevor sie mit dem eigentlichen Schreiben beginnen: sie überlegen, sortieren, strukturieren, gliedern, wägen ab. Wenn der Plan – auf dem Papier oder im Kopf – steht, können sie schnell voranschreiben, da sie sich ganz aufs Formulieren konzentrieren können, und sie laufen nicht Gefahr, sich auf dem Weg bis zum Schlusspunkt zu verirren. So lange man sich mit dem Planen nicht nur vor dem Schreiben drückt, ist dieses Vorgehen besonders unter Zeitdruck ideal.
Die Entdecker dagegen schreiben einfach los. Sie lassen sich von ihren Gedanken und Ideen treiben und finden so nach und nach zur Kernidee und der Struktur des Textes. Hier gehören Umwege und Sackgassen mit zum Programm und ermöglichen neue Ideen. Auch bei sehr komplexen Themen entsteht schon früh im Schreibprozess ein erster Text und damit ein gutes Gefühl. Es muss nur aufgepasst werden, dass beim Entdecken nicht das Ziel aus den Augen verloren wird oder die Zeit ausgeht.

2. Schreiben Sie von vorne nach hinten oder basteln Sie Ihren Text aus Einzelteilen zusammen?
Manche Menschen gehen beim Schreiben sehr systematisch vor: Sie haben den Plan parat und arbeiten sich Stück für Stück durch den Text. Das hat den Vorteil, dass der Text genau so entsteht, wie er später auch gelesen wird, von vorne nach hinten. Dadurch kann es nicht passieren, dass Informationen vorausgesetzt werden, zu denen bereits geschrieben wurde, die aber im fertigen Text weiter hinten stehen. Der rote Faden wird Stück für Stück gesponnen.
Das andere Extrem, das erst durch den Einsatz von Textverarbeitungsprogrammen zur lohnenden Strategie wurde, ist das Zusammenbasteln von Einzelteilen. Der Bastler schreibt immer gerade an dem Abschnitt, der ihm präsent ist oder am leichtesten fällt. Die entstandenen Stücke können so lange verschoben, aneinandergebaut und ergänzt werden, bis der Gesamttext rund ist. Möglicherweise wird so allerdings manches doppelt geschrieben oder Wesentliches nicht bis zum Ende gedacht.

3. Überarbeiten Sie intensiv oder formulieren Sie von Anfang an perfekt?
Ich gehe davon aus, dass kein guter Text ohne Überarbeitung entsteht und dass es Zeit spart, wenn ich von Anfang an Zeit zum Überarbeiten einplane, weil ich so schneller und flüssiger schreiben kann. Aber vielleicht belehrt mich auch hier jemand eines Besseren. Sicher ist: Es gibt ein weites Feld zwischen gar nicht und exzessiv überarbeiten, zwischen während des Schreibens gleich verbessern und den fertigen Rohtext nach einer Ruhephase als Ganzes überarbeiten.
Zum Überarbeiten gibt es so viele Ideen und Hinweise, dass ich dazu einen eigenen Tipp schreiben will. Hier nur noch die Erinnerung: Rechnen Sie die Zeit, die Sie bei Ihrer Arbeitsweise zum Überarbeiten brauchen, bei Ihrer Schreibprojektplanung mit ein.

Vielleicht erkennen Sie sich im einen oder anderen Vorgehen beim Schreiben klar wieder oder Sie haben je nach Text und Situation andere Arbeitsweisen. Egal welche Schreibweise zu Ihnen passt, erkunden Sie, wie Sie und Ihre Texte davon profitieren und welche Tücken dabei lauern. So sind Sie gut gerüstet für den nächsten Schreibauftrag.