Lautes Lesen macht Texte gut

Klar: Texte müssen überarbeitet werden, bevor sie „rausgehen“. Wie lange und wie intensiv, hängt von vielen Faktoren ab, doch wenigstens einmal gehe ich über jeden Text noch mal drüber, bevor ich ihn abschicke, sogar über kurze und unproblematische E-Mails. Eine ganz einfache, schnelle und dabei sehr wirkungsvolle Methode dazu habe ich mit lautem Lesen entdeckt.

Die frisch geschriebenen Texte laut in der Gruppe vorzulesen, ist in Schreibwerkstätten üblich. So habe ich erfahren: Ob mit oder ohne Feedback, in kleiner oder großer Gruppe, mit viel oder wenig Zeit, allein das Vorlesen lässt mich meinen Text anders wahrnehmen. Statt ihn zu sehen, höre ich ihn nun. Ich bin wacher, als wenn ich nur mit den Augen lese, sogar Tippfehler fallen mir so plötzlich auf. Ich höre Holperer und manchmal ändere ich direkt beim Vorlesen einzelne Formulierungen, weil sie so, wie ich sie geschrieben habe, nicht aus meinem Mund kommen wollen.

Nachdem ich nur wenige Male das Vorlesen in der Gruppe erlebt habe, habe ich begonnen, mir alle meine Texte selbst laut vorzulesen. Und auch ohne Rückmeldung von anderen ist dies ein großer Gewinn. Ich bekomme Distanz zum Text und wechsle den Kanal. So sorge ich dafür, dass der Ton stimmt, dass der Text fließt, der Rhythmus passt. Zu lange Sätze machen mich atemlos, unübersichtliche Satzstrukturen lassen mich stottern, Füllwörter oder unschöne Wiederholungen klingeln in meinen Ohren. Und selbst, wenn all diese Dinge nicht eintreten, lese ich aufmerksamer und bemerke Fehler, für die ich zwar blind, aber wohl nicht taub bin.

Eine andere Möglichkeit: Ich lasse mir meinen Text vorlesen. Das braucht mehr Mut und eine Person, die bereit ist mitzumachen. Hier sehe ich zwar keine Fehler, doch ich kann mich beim Zuhören ganz auf den Inhalt konzentrieren. Der Text ist noch weiter von mir weg, ich kann ihm wie eine Fremde lauschen und spüre, wo ich der Argumentation des Textes folge und wo ich aussteige. Da die vorlesende Person nicht weiß, was eigentlich auf dem Blatt stehen sollte, kann sie Unschärfen nicht durch eine geschickte Betonung ausgleichen. All die Stellen, an der mein Vorleser stolpert, merke ich mir und schaue sie mir hinterher ganz genau an: Sehr wahrscheinlich stimmt da irgendetwas noch nicht.

So ist lautes Lesen zwar noch keine Textüberarbeitung, aber für mich mittlerweile ein ganz wesentlicher Schritt dazu. Und wenn ich das, was ich beim Lesen bemerkt habe, verändere, liest sich mein Text auch für andere Leser besser und leichter.

Einladung zum Internationalen Bodensee-Arbeitskreis für Schreibtraining und beratung

Nun wird es konkret: Der gemeinsam von Karin Schwind und mir erdachte und initiierte Arbeitskreis wird sich am Freitag, den 25. November, von 10:00 – 17:00 Uhr in Konstanz treffen. Wir wollen uns mit anderen Schreibtrainern, -beratern, -pädagogen vernetzen, austauschen und gemeinsame Projekte initiieren. Damit wir nicht nur unser eigenes Interesse treffen, sondern auch das der anderen AK-Mitglieder, haben wir zusammen mit einem Anmeldeschein auch eine kleine Umfrage verschickt. Die Antworten, die wir hier erhalten, werden die Grundlage für das Programm bilden, das wir uns für das Treffen vornehmen. Und es soll nicht bei diesem einen Treffen bleiben, sondern ein reger und anregender fachlicher Austausch etabliert werden.
Wir haben versucht, alle Personen ausfindig zu machen und zu erreichen, die möglicherweise an so einem Arbeitskreis Interesse haben. Da uns dies sicherlich nicht gelungen ist, gilt weiterhin: Wer sich zum Großraum Bodensee zugehörig fühlt und andere Menschen bei kreativem, beruflichem, wissenschaftlichem, biografischem Schreiben unterstützt, also berät, anleitet, trainiert, darf sich angesprochen fühlen. Nähere Informationen verschicke ich gerne per Mail auf Anfrage.

Sexy Writing – ein Buchtipp

„Sex sells“, habe ich mir gedacht und äußerst skeptisch das Buch „Verführung mit Worten. 33 Quickies für erfolgreiche Texte“ von Karen Christine Angermayer aufgeschlagen. Doch ich war sehr angenehm überrascht. Der zentrale Gedanke: Verführ Deinen Leser zum Lesen, befriedige ihn mit Deinem Text. Da frage ich mich, wieso es nicht schon dreißig andere Bücher mit genau diesem Titel gibt – und warum ich nicht darauf gekommen bin, dieses Buch zu schreiben.
Doch Angermayer belässt es nicht bei der zentralen Aussage und einem reißerischen Titel. Sehr flott stellt sie zunächst verschiedene „Verführertypen“ vor – von Casanova über stummer Fisch bis hin zum Esoteriker – und stellt Vor- und Nachteile dieser Typen vor. Das Herzstück des Buches sind jedoch die 33 Quickies, ganz praktische und vor allem schnell durchzuführende Übungen, mit denen sich das eigene Schreiben weiter entwickeln lässt. Obwohl für mich persönlich einiges altbekanntes dabei war, habe ich mich von diesem Buch gerne und erfolgreich zum Schreiben verführen lassen. Da sieht man doch über den ein oder anderen etwas gezwungen wirkenden Titel gerne hinweg.

Ich schreibe wie …

Wenn ich „Nahe Tartus“ in den Textanalysator „Ich schreibe wie“ der FAZ eingebe, kommt „Melinda Nadj Abonji“ raus. An die Autorin erinnern wir uns gerade, weil es mit der gestrigen Bekanntgabe der Shortlist für den Buchpreis 2011 um ihre Nachfolge geht.
Wenn ich den Roman „Tauben fliegen auf“ von Melinda Nadj Abonji auf meinen Nachttisch lege, um die entspannten Urlaubstage mit dem Lesen von Literatur anzureichern, schaffe ich es kaum, mehr als zwei, drei Seiten am Stück zu lesen und, wenn der Urlaub vorbei ist, weiß ich, dass ich dieses Buch zumindest in dieser Lebensphase nicht zu Ende lesen werde.
Ist es nun eine besondere Ehrung, wenn mein Schreibstil mit dem einer Buchpreisträgerin verglichen wird, oder sollte ich andere Texte schreiben, wenn mich solch ein Schreibstil beim Lesen nicht packt? Da ich dies nicht entscheiden kann, mache ich den Sondertest:
Dieser Blogartikel bis hierhin analysiert ergibt, ich schreibe wie …
Melinda Nadj Abonji
Aber morgen schreibe ich mal anders.

Im Schreiben zu Haus

Zufällig wohl nur für eine, die sich mit Fotografie und Fotografinnen nicht auskennt, habe ich eine großartige Entdeckung gemacht: Der Bildband: „Im Schreiben zu Haus. Wie Schriftsteller zu Werke gehen“ von Herlinde Koelbl. 42 Porträts deutschsprachiger Schriftsteller von Peter Handke bis Ernst Jünger, von Sarah Kirsch bis Christa Wolf sind in diesem wunderschönen Buch versammelt. Herlinde Koelbl fotografierte und sprach mit den Porträtierten zwischen 1996 und 1998, das Buch erschien im September 1998 und ist nur noch antiquarisch erhältlich.
Die Fotografien der Arbeitszimmer, Schreibtische, Hände an der Schreibmaschine, am Laptop oder mit Stift überm Papier stillen die Neugier und geben sinnliche Eindrücke in die Praxis des Schreibens. Gespräche, in denen Herlinde Koelbl ungeniert, aber gut informiert Fragen stellt, zeigen Lust und Qual des Schreibens. Wann schreiben Sie, wo schreiben Sie, fällt Ihnen das Schreiben leicht, wie gehen Sie beim Schreiben vor? – Solche ganz praktischen Fragen laden ein, die eigene Schreibpraxis zu reflektieren und bewusst zu gestalten. Doch am meisten Spaß macht es, bei einem Glas Wein in diesem dicken Buch zu schmökern und dabei das Gefühl zu haben, die Schriftsteller und Schriftstellerinnen ganz privat kennen zu lernen, Ihnen über die Schulter und auch ein wenig in die Seele zu schauen.