Getanzte Worte

Am Tag, an dem der erste große Frühlingsregenschauer niederging, lief eine Zicke, Schlüsselbein voraus, durchs matschige Gras. Bespaßt wollte sie werden, nach nackten Männern hielt sie Ausschau, doch außer einer Wiege mit Baby war nichts zu sehen. So ein Betrug, so fehlgeleitete Kraft. Doch die letzte Regel gilt immer: Der Siegelring ist auf dem Ball zu tragen.

Danke an B., die mir Wortmaterial für diesen Text lieferte.

Schreibend reisen mit dem Segeberger Kreis

Den Text „Fluss ohne Brücke“ habe ich Ende März bei der Jahrestagung des Segeberger Kreises im Elsass geschrieben, bei der das Thema „Unterwegs – Reisen in die Welt und zu sich selbst“ hieß. Für alle, die den Segeberger Kreis nicht kennen: Diese „Gesellschaft für Kreatives Schreiben“ ist ein Verein von SchreibpädagogInnen, -didaktikerInnen und (kreativ) Schreibenden, die bei der jährlich im Frühjahr stattfindenden Tagung in Gruppen miteinander Schreibaufgaben bzw. -anregungen entwickeln, ausprobieren, reflektieren und darüber neue Impulse für ihre Arbeit bekommen und das Kreative Schreiben weiter entwickeln. Nebenbei entstehen schöne Texte und man lernt interessante Menschen kennen, die auch für das Kreative Schreiben brennen.

Wie genau die Schreibaufgabe war, die wir uns stellten und bei der ich den surrealen Prosatext geschrieben habe, will ich hier nicht darstellen. Das und noch viel mehr können Interessierte im Segeberger Brief nachlesen, der wohl im Spätsommer/ Herbst erscheinen wird. Was für mich besonders spannend war: Bei diesem (und auch anderen) Texten während der Tagung ist mir noch einmal bewusster geworden, wie mein Kreatives Schreiben im Bewegung kommt und bleibt:

Zuerst umkreise ich ein Thema bzw. einen Schreibauftrag, in dem ich irgendwie das Wortfeld erkunde. Beispielsweise mache ich ein Cluster oder eine Wortliste oder ich konjungiere ein Verb erst einmal durch oder ähnliches. Dabei formt sich in meinem Kopf eine Schreibidee, die ich zwar nicht benennen kann, die aber dennoch klar genug ist, um den Anfang des eigentlichen Textes zu finden. Ab da nutze ich einen zweiten Mechanismus: Ich stelle mir, wenn sie nicht sowieso schon vorhanden ist, eine formale Aufgabe. Beim Fluss ohne Brücke war dies die Aufgabe, möglichst nie zu einem Subjekt ein real passendes Prädikat zu finden, sondern jedes Mal zu versuchen, den Sinneskanal zu wechseln oder sonst auf irgendeine Weise ungewöhnliche Verbindungen zu schaffen. Andere formale Aufgaben können sein: eine streng festgelegte Textform zu verwenden, bestimmte Buchstaben auszulassen oder ähnliches.

Was andere vielleicht einengend oder unkreativ finden, hilft mir, den Schreibprozess laufen zu lassen und Ideen zu bekommen. Deshalb liebe ich formale Vorgaben oder klare Schreibaufgaben. Sie sind mir Wegweiser, Brücken und Hindernisse gleichzeitig auf meinen Schreibreisen. Andere reisen schreibend auf andere Weise besser oder lieber: mich interessiert wie.

Fluss ohne Brücke

Der Fluss bildet die natürliche Grenze zwischen gestern und Sommer. Am Wasser entlang dem Weg folgen, der am Eigentlichen vorbei geht. Grün werden die Gedanken beim Erwachen und Verspeisen der Schranken, die meine Lungen ausfüllen, während ich male. Die Musik der Elfengleichen erlaubt mir zu sitzen im Rat des Berges, von wo der samtene Reiter sich stählt. Im Arm des Kapierens liegen Steine des Anstoßes, die mir erlaubten zu treiben. Doch ich bleibe lockend und packe die Wurzeln, entreiße ihm Flügel, um das Säumen zu umgehen. Es ist eine Traube.
Der Fluss bildet die natürliche Grenze zwischen gestern und Sonntag. Sie humpelt taub, ertastet das Licht, will ins Süß zurück, das aus dem Tal entschwindet. Ein Mosaik der Verwirrung erstaunt das Getier, die Pflanzen schweigen betreten. Sie isst. Im Morgengrau der Kühle wollen Birnen erklingen; sie erstarren geblendet von ihr. Gewesene Grenzen erschlagen den Nebel, bis er amüsiert.
Aus seinem Rucksack fliegt dem Reiter das Leben, er bietet es feil und ihr Ich fasst durch. Wieder elf Töne verschlingen die fehlbaren Farben des Gefährten. Mich erschaudern die Grenzen; das Wasser verwest. Keine Brücke am Anfang, das Wort verstreicht. Zwischen Sommer und Sonntag nur sirrendes Grün.

Irgendwas mit Schreiben

Die Blogparade Und was machen Sie so beruflich? hat es mal wieder gezeigt: Sehr viele Menschen machen „irgendwas mit Schreiben“. Eine breite Palette von modernen Schreibberufen stellen Susanne Diehm und Michael Firnkes in ihrem Buch „Die Macht der Worte. Schreiben als Beruf“ (2013 bei mitp) vor, wobei sie alle Klassiker wie Journalismus oder SchriftstellerIn auslassen. Von „Texten für Onlineshops“ bis „Wissenschaftliche Schreibberatung und -training“, von „Buch-PR“ bis „Schreibtherapie“ werden in Interviews 20 Menschen und ihre Schreibtätigkeit vorgestellt. Jedes Interview wird nachbereitet, indem zu einem thematischen Aspekt daraus weitere Informationen gegeben werden, um die Einzelerfahrungen der InterviewpartnerInnen zu verallgemeinern. Denn eins wird deutlich: Es gibt nicht den einen Weg zu dem einen konkreten Schreibberuf. Jede interviewte Person ist ihren ganz eigenen Weg gegangen, bis sie dort landete, wo sie im Moment steht.

Manchmal frage ich mich beim Lesen, ob die Auswahl der InterviewpartnerInnen und damit der vorgestellten Berufsbildern nicht sehr zufällig nur damit begründet ist, wen die beiden AutorInnen kannten. Doch in der Summe entsteht ein buntes Bild von Möglichkeiten, das Schreiben zum Beruf zu machen. Ob man in jedem Fall davon leben kann, ist eine andere Frage, die nicht ausgeklammert wird. Deshalb enthält das Buch auch zahlreiche Hinweise, wie man nicht nur der Leidenschaft des Schreibens frönen, sondern auch ein Geschäftsmodell daraus entwickeln kann. Am Ende muss sich jeder Schreibwütige selbst durchschlagen, nicht aber ohne vorher einen Erkundungsgang durch die Welt der neuen Schreibberufe gemacht zu haben.

Lyrische Formen von A bis Z: Dinggedicht?

Frau Paulchen scheint gerade anderweitig beschäftigt zu sein und ich ja eigentlich auch. Doch nun habe ich mich einmal umgeschaut, welche Gedichtform es mit dem Anfangsbuchstaben D geben könnte. Ich bin auf das Dinggedicht gestoßen.

Laut Wikipedia ist ein Dinggedicht eine Gedichtform, in der „ein Gegenstand oder Lebewesen distanziert oder objektiviert erfasst und beschrieben [wird]. Das Gedicht hat den Anspruch, das Ding so auszudrücken, als spräche es über sich selbst. Es soll das Innere und das Wesen des Gegenstandes ausdrücken.“ Als Beispiele angeführt sind „Auf eine Lampe“ von Eduard Mörike und „Der Panther“ von Rainer Maria Rilke.

Ich mache mich dran, noch mehr über das Dinggedicht herauszufinden und ein solches zu schreiben. Am nächsten oder übernächsten Montag wird es hier zu lesen sein, mal sehen, zu welchem Ding.

Montags-Gedicht: Bewegte Frauen

Neun Frauen wollen hüpfen,
neun Frauen woll’n sich drehn.
Was soll das Schreiben nützen,
was wollen sie nur sehn.

In Sophies Reihe „lyrische formen von a bis z“ steht schon seit über einer Woche ein „Clerihew“ aus, also ein vierzeiliges gereimtes Scherzgedicht. Nun ergab es sich spontan, dass bei der Jahrestagung des Segeberger Kreises diese Reime entstanden. Eigentlich ging es darum, ein „Bewegungsgedicht“ zu schreiben, ein Text, dessen innere Bewegung eine vorher festgelegte Form hat. Dies war mir in dem Moment zu schwierig und es entstanden Verse, die sich clerihew-mäßig reimen und scherzhaft sind, wenn sie auch nicht „eine bekannte Person auf die Schippe“ nehmen, wie es für ein Clerihew charakteristisch ist. Ich meine: Das gilt trotzdem.

Montags-Gedicht: Ballade von der unermüdlichen Lyrikerin

Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,
Dass sie nur dichten will;
Die Mitternachtsglocken schon läuten,
Die Muse hält einfach nicht still.

Im Zimmer ists kühl, und sie gähnet,
Doch weiter fließt der Reim;
Bis ihr Gesicht eine Träne
Vor Rührung suchet heim.

Ihr treuester Leser sitzet
Am Laptop irgendwo,
Sein Brusthaar ziemlich schwitzet,
Er traut sich kaum mehr aufs Klo.

Er hängt an ihren Versen
Bezaubert von ihrer Kunst;
Sie hat im hessischen Zersen
Alleine seine Gunst.

Den Leser am anderen Ende
Von Deutschland packt der Neid;
Es kommt zur erschreckenden Wende,
Es kommt zu sehr großem Leid.

Ich glaube, er übt endlich Kritik,
Wirft Laptop und sich vor die Bahn;
Das hat mit poetischer Metrik
Die Lyrikerin ihm getan.

 

Einen Blankvers bzw. mehrere Blankverse hat Sophie Paulchen sich als lyrische Aufgabe für den Buchstaben B gestellt. Doch da dieser Fünfer-Rhythmus sich einfach nicht fügen wollte, habe ich mich an einem B wie Ballade probiert und Heinrich Heines Loreley umgedichtet – war irgendwie passend, da ich bereits einmal ein Rhein-Gedicht geschrieben habe (und noch eins, das steht aber noch nicht hier im Blog).