Gedicht zu Bild: Missing

Bilder als Impuls für Gedichte, damit habe ich immer wieder experimentiert. Gerade beschäftigen mich die Bilder von Stefanie Rösch.

Ein erstes Ergebnis: Missing

Missing, 2001 - Acryl auf Papier von Stefanie Rösch

 

Missing

Leidenschaftlicher Nebel verbirgt

die blauen Berge türmen sich

auf bilden Panoramapostkarten

dem Blick der schweift. Kein

Blümlein auf dem Felde keine

Biene summt ein Gewitter der

einstürzenden Gedankenwelt

 

 

So dichte ich

Zur Zeit bin ich schreibend stark damit beschäftigt, Gedichte zu schreiben. „Richtige“ Gedichte, was immer das sein könnte, keine Wort- und Schreibspielereien, keine Elfchen, Zevenaare oder Bulldozer-Gedichte. Diese Gedichte sollen wachsen, sich entwickeln dürfen, ich arbeite so lange daran, bis ich glaube, besser kann ich es im Moment nicht ausdrücken, Form und Inhalt passen so gut wie mir möglich zusammen. Deshalb haue ich die neuen Texte nicht einfach so raus, so dass es im Blog ein wenig ruhiger geworden ist.

Immer deutlicher wird mir: Ich unterscheide klar für mich zwischen kreativem Schreiben – schnell, spontan, spielerisch -, wie ich es mit großer Freude in Schreibwerkstätten und manchmal auch für mich allein praktiziere, von Gedichte schreiben im obigen Sinn. Doch wie gehe ich vor, wenn ich dichte?

1. Ist da eine ganz vage Idee, ein Thema, ein Bild, eine Situation, eine Wendung. Sie kommt von irgendwo her in meinem Kopf, spuckt darin herum und begleitet mich ein paar Stunden oder Tage, je nach dem. Im Geist finde ich Formulierungen, Textfragmente, die ich erprobe.

2. Kommt der Moment, an dem ich weiß, das Gedicht hat eine Gestalt gefunden. Mir ist diese Gestalt noch nicht klar, ich sehe sie noch nicht, spüre nur, dass sie da ist. Dann greife ich zu Bleistift und Papier. Ich schreibe drauf los, aus dem Bauch heraus, lasse die Worte aufs Papier fließen. Die Zeilenumbrüche, der Rhythmus, der Klang ergeben sich von allein.

3. Manchmal reicht ein Anlauf, um das, was sich in meinem Kopf gebildet hat, aufs Papier zu bringen, manchmal setze ich zwei-, drei-, viermal neu an, schreibe mit etwas Abstand einfach weiter. Wenn das Gerüst handschriftlich klar ist, muss es in den Computer übertragen werden: Ich muss sehen, ob es gedruckt „richtig“ aussieht.

4. Beim Abtippen verändert sich automatisch das eine oder andere Wort, mit den Zeilenumbrüchen und der Einteilung in Strophen spiele ich so lange herum, bis es stimmt. Manchmal bekommt das Gedicht dann auch einen ersten Titel, manchmal bleibt es zunächst titellos.

5. Jetzt brauche ich Abstand: Das Gedicht wird gespeichert – wenn es noch keinen Titel hat, ist das Finden eines Dateinamens eine Herausforderung -, der Computer wird ausgeschaltet. In meinem Kopf begleitet mich das Gedicht weiter, aber weniger im Vordergrund, weil es jetzt ja festgehalten ist und nicht mehr verloren gehen kann. Zu dem Zeitpunkt bin ich mir so klar über mein Gedicht, dass ich es auch, wenn es sich ergibt, ausgewählten Menschen zeigen kann. Rückmeldungen höre ich und nehme sie auf: Sie helfen mir, mein Gedicht besser zu verstehen, klarer zu sehen.

6. Nach einer Pause bekomme ich den Drang, das Gedicht zu perfektionieren, fertig zu stellen. Dazu ist es gut, wenn ich es ausdrucke: So kann ich es mitnehmen, habe es immer vor Augen, wenn mir eine Idee kommt. Manchmal kritzle ich viele Alternativformulierungen dazu, manchmal bleibt das allermeiste wie es am Anfang war. Oft probiere ich auch herum, um am Ende doch zu der Ursprungsversion zurückzukehren. Es ist die Erprobungsphase für das Gedicht. Dadurch dass alles auf dem Papier passiert, geht keine Version verloren.

7. Eine Fleißarbeit ist es, die endgültige Version in die Computerdatei einzugeben, denn für mich ist nun alles klar und fertig. Dann bin ich damit durch, warte auf Inspiration oder hatte sie schon und schreibe das nächste Gedicht.

Wovor man sich fürchten kann …

Angst schreiben war angesagt, ich habe berichtet. Hier ein ABC angsteinflößender Dinge:

Adventskalender
Bilderrahmen
Clowns
Drachen
Edelsteine
Fingerringe, besonders aus
Gold, Gartenscheren
Holunderbüsche
Intimsprays
Jeansjacken
Körbe
Lampions
Musterhausküchen
Nylonstrümpfe
Orgelpfeifen
Parkettböden
Quarkspeisen
Rettungswesten
Steine
Unterhosen, lange
Veilchen
Wassergläser
Xerox-Kopierer
Yachten nicht, das ist zu billig
Zettelkästen und Zitronen

Tagebuch als Wahrnehmungsschulung

Eine ausgedehntere Tagebuchphase hatte ich ja vor einigen Wochen hier im Blog. Unter anderem habe ich mich dabei gefragt, warum das Tagebuchschreiben so schwierig sei. Nun kann ich stolz und zufrieden berichten: Die ersten zwei Monate Glückstagebuch sind komplett. Manche Tage musste ich zwar später nacharbeiten, doch zu jedem Tag stehen zwei Zeilen da.

Je länger man es macht, desto anspruchsvoller wird die Aufgabe. Zu viele Tage laufen immer ähnlich ab, jeden Tag „nichts besonderes“ schreiben ist langweilig. Also zwingt das Tagebuchschreiben zu genauem Hinsehen: Welcher Moment lohnt heute das Festhalten? Wie kann ich Alltägliches für genau jetzt passend notieren? Deshalb ist Tagebuchschreiben, das schon allein als Selbstreflexions- und Erinnerungsmethode genug wäre, mehr als das. Es ist Wahrnehmungs- und Beobachtungsschulung, ist Lebensintensivierer, ist Formulierungsschulung und Schreibroutine. Dazu ist Tagebuchschreiben kreativ oder tägliches kreatives Schreiben.

Die Aufmerksamkeit, die dazu führt, dass jeden Tag zwei Zeilen Glück in meinem Jahresbuch stehen, kann auch die Grundlage für ein Gedicht sein. Dann kommen zur bewussten Beobachtung ein neues, passendes Bild und die gezielt gestaltete Form und Sprache dazu. Ohne die alltägliche Beobachtung im Innern oder Äußern gibt es aber kein Gedicht. Oder?

Meersburg, verdichtet

Dicker, hartnäckiger Nebel statt der versprochenen Frühlingssonnenwärme hat mich in die Meersburg getrieben, der Höhenweg durch die Weinberge muss warten. Leider konnte die Burg uns nicht aufwärmen, war es zwischen den alten Mauern noch kälter als auf der Uferpromenade. So war es noch winterlich leer überall.

Annette von Droste Hülshoff hat einige Jahre auf der Meersburg geschrieben. Das Gedicht Das alte Schloss erzählt davon. Die Aussicht aus ihrem Arbeitszimmer war an manchen Tagen sicherlich grandios. Gestern war alles nur grau. So schrieb sie denn auch: „Ist mir selber oft nicht deutlich,/ Ob ich lebend, ob begraben!“

Für heute war Regen angekündigt, bisher ist es nur Hochnebel, der uns heimsucht. So herum ist es gar nicht so schlimm. Ein Sonntag, der dazu einlädt nachzuspüren, das Erlebte und Gelesene niederzuschreiben, zu dichten.

Der Frühling ist unterwegs.