Von lyrischem Fasten und Künstlertreffs

Schon einige Jahre kenne ich die Idee eines „Künstlertreffs“ oder eines „künstlerischen Stelldicheins“ von Julia Cameron. Um dauerhaft ein kreatives Leben leben zu können, schlägt sie zwei Grundtechniken vor: die „Morgenseiten“ und eben den „Künstlertreff“ (beispielsweise in ihrem Buch „Der Weg des Künstlers“, das ich in einer Ausgabe des Knaur Verlags von 2000 vorliegen habe). Dieser Künstlertreff ist eine Verabredung mit sich selbst, die dazu dient, den eigenen Brunnen wieder zu füllen. Wichtig dabei ist, allein etwas für sich zu unternehmen, das einen selbst nährt, ganz ohne Ablenkung durch andere Menschen, mit denen man gemeinsam unterwegs ist.

So einen Künstlertreff halte ich theoretisch, seit ich davon gelesen habe, für eine gute Idee, gemacht habe ich es bisher immer nur sporadisch. Doch seit gestern spüre ich, wie der Frapalymo (und all die anderen Dinge, die ich zur Zeit so mache) mich auslaugt, wie ich mich leer gefischt fühle. In mir rumort es: Ich brauche Futter. Es ist sicherlich normal, dass nach einer superproduktiven Phase, wie es der Frapalymo ist, eine weniger produktive kommt, in der erst einmal wenig oder gar nicht mehr geschrieben wird, in der Rückzug und Auftanken angesagt ist statt Weiterpowern. Doch für mich bestätigt sich gerade: Wenn ich wirklich schreiben will, reicht es nicht aus, Schreibzeiten zu reservieren. Ich muss auch regelmäßig auf Empfang schalten, aufnehmen und genießen.

Trotzdem bin ich wild entschlossen, den restlichen Frapalymo mitzudichten. Schon allein der tollen Impulse wegen, die Sophie sich Tag für Tag einfallen lässt. Bewundernswert: Wie machst Du das nur, Sophie. Ich warte schon die ganze Zeit darauf, dass sich irgendwas einmal wiederholt, aber jeder Impuls ist überraschend anders. Ich bin auch unheimlich stolz auf mich, dass ich diesen Monat nicht nur zwanzig Gedichte geschrieben, sondern diese auch noch alle – wie unfertig oder phantasielos sich manche von ihnen auch angefühlt haben – hier hochgeladen habe. Außerdem fühlt es sich gut an, einmal leergeschrieben zu sein. Mal Durchfall statt Verstopfung. Positiver ausgedrückt könnte man sagen: Der Frapalymo ist lyrisches Heilfasten. Damit es aber keine Jo-Jo-Effekte gibt, ist eine dauerhafte Umstellung zum Gesunden sinnvoll. Dies so deutlich zu spüren, ist eine wertvolle Erfahrung.

Selbst schreiben als Gruppenleiterin

Kurse in Kreativem Schreiben zu geben, macht mir viel Freude. Nur eine Hoffnung hat sich dabei nicht erfüllt: selbst in den Kursstunden auch zu schreiben.
Ja, ich bin brav. Ich habe gelernt, dass beim Kreativen Schreiben die KursleiterIn immer mitschreibt, also mache ich es. Es leuchtet mir sogar ein, dass das so richtig ist. Es entsteht eine Schreibgemeinschaft, bei der alle beteiligt sind; beim Vorlesen und damit Sich-Zeigen verstecke ich mich nicht hinter meiner Rolle. Ich erfahre die von mir entwickelten Übungen am eigenen Leib, und zwar nicht zu Hause beim Ausprobieren, sondern in dem selben Setting wie die KursteilnehmerInnen. Dazu kann ich, wenn es gelingt, mit „anderen“ Texten den Schreibenden Mut machen, selbst zu experimentieren, auszuprobieren, mit Sprache und den Schreibanregungen zu spielen. Das erweitert Grenzen, bei mir wie – darum geht es hier – bei anderen.

Allein ich merke, es funktioniert so nicht. Ich bin und bleibe in einer anderen Rolle und werde auch anders wahrgenommen. Vielleicht wird das Problem verschärft, wenn ich mit Studierenden arbeite, denen gegenüber ich Lehrperson bin – mit allen Rechten und Pflichten. Vielleicht auch dadurch, dass ich doppelt so alt bin wie die anderen oder noch älter.
Ein zweites: Für die Schreibenden in der Gruppe sind die Schreibaufgaben (meistens) neu und überraschend. Ich kenne sie, habe sie mit gutem Grund so geplant und mindestens einmal, wenn nicht mehrfach, bereits ausprobiert. Da gehe ich anders an die Aufgaben heran, manchmal vielleicht routiniert, weniger neugierig. Manchmal sogar mit Vorbehalten, denn wissend, dass Schreiben individuell sehr verschieden funktioniert, schlage ich nicht nur meine Lieblingsaufgaben vor.
Das dritte ist aber wohl das Wichtigste: Ich bin so mit meiner Aufgabe der Gruppenleitung beschäftigt, dass ich wenig Kapazität fürs eigene Schreiben übrig habe. Selbst wenn alles läuft, wenn bei längeren Schreibeinheiten die gesamte Gruppe vertieft in ihre Texte ist, bin ich immer mindestens zur Hälfte mit Nachspüren und Gucken beschäftigt. Dazu muss ich die Zeit im Blick behalten, die Gruppe rechtzeitig an das Ende der Schreibzeit erinnern, dafür sorgen, dass SchnellschreiberInnen ihre gute Laune behalten, so lange die Langsam-schreibenden noch mittendrin sind, und ab und zu auch Fragen beantworten. Der Rest der Energie reicht nur selten, um ein Stück weit in meinen Text abtauchen zu können.

So lange ich Elfchen oder Zevenaare schreibe oder bei Reihumtexten mitmache, ist dies kein Problem. Dafür habe ich mittlerweile Schreibroutine genug, dass ich bei allen spielerischen Formen schnell und unzensiert schreibe. Das macht mir Spaß und diesen Spaß und die damit einhergehende Unbefangenheit kann ich wohl auch weitergeben. Längere Texte oder solche, bei denen ich den Eindruck habe, ich möchte mich weiter mit ihnen beschäftigen, sie überarbeiten und ausbauen, entstehen allerdings keine. Das ist nicht schlimm, bin ich doch in diesen Kursstunden in erster Linie Leiterin und erst an zweiter Stelle Schreibende. Ein wenig schade ist es trotzdem. Denn genau diese Hoffnung hatte ich.
Die Lösung liegt auf der Hand: Es geht darum, weitere Schreibräume für mich neben der Gruppenleitungstätigkeit zu nutzen, zu etablieren, zu erweitern. Interessieren würde mich trotzdem, wie andere SchreibgruppenleiterInnen mit der Frage umgehen und ob es nur bei mir so ist. Vielleicht liest ja jemand hier mit und berichtet.