Gedicht zu Bild: Missing

Bilder als Impuls für Gedichte, damit habe ich immer wieder experimentiert. Gerade beschäftigen mich die Bilder von Stefanie Rösch.

Ein erstes Ergebnis: Missing

Missing, 2001 - Acryl auf Papier von Stefanie Rösch

 

Missing

Leidenschaftlicher Nebel verbirgt

die blauen Berge türmen sich

auf bilden Panoramapostkarten

dem Blick der schweift. Kein

Blümlein auf dem Felde keine

Biene summt ein Gewitter der

einstürzenden Gedankenwelt

 

 

Tagebuch als Wahrnehmungsschulung

Eine ausgedehntere Tagebuchphase hatte ich ja vor einigen Wochen hier im Blog. Unter anderem habe ich mich dabei gefragt, warum das Tagebuchschreiben so schwierig sei. Nun kann ich stolz und zufrieden berichten: Die ersten zwei Monate Glückstagebuch sind komplett. Manche Tage musste ich zwar später nacharbeiten, doch zu jedem Tag stehen zwei Zeilen da.

Je länger man es macht, desto anspruchsvoller wird die Aufgabe. Zu viele Tage laufen immer ähnlich ab, jeden Tag „nichts besonderes“ schreiben ist langweilig. Also zwingt das Tagebuchschreiben zu genauem Hinsehen: Welcher Moment lohnt heute das Festhalten? Wie kann ich Alltägliches für genau jetzt passend notieren? Deshalb ist Tagebuchschreiben, das schon allein als Selbstreflexions- und Erinnerungsmethode genug wäre, mehr als das. Es ist Wahrnehmungs- und Beobachtungsschulung, ist Lebensintensivierer, ist Formulierungsschulung und Schreibroutine. Dazu ist Tagebuchschreiben kreativ oder tägliches kreatives Schreiben.

Die Aufmerksamkeit, die dazu führt, dass jeden Tag zwei Zeilen Glück in meinem Jahresbuch stehen, kann auch die Grundlage für ein Gedicht sein. Dann kommen zur bewussten Beobachtung ein neues, passendes Bild und die gezielt gestaltete Form und Sprache dazu. Ohne die alltägliche Beobachtung im Innern oder Äußern gibt es aber kein Gedicht. Oder?

schreib-t-raum im Bild

Schon lange will ich ein eigenes Foto für den Blog haben, auch wenn das Tintenfass-Bild des verwendeten Themes erstaunlich passend war. Doch Fotografie ist nicht so mein Metier und Bilder erzeuge ich gewöhnlich über Worte. Trotzdem bin ich heute fündig geworden:

Das jetzige Kopfbild ist der Ausschnitt eines Fotos, das ich schoss, um eine Stadterkundungs-Schreibwerkstatt vorzubereiten. Es zeigt einen ganz kleinen Teil der Kunstgrenze, die Konstanz und das schweizerische Kreuzlingen – zumindest im Gebiet Klein Venedig – seit 2007 nicht mehr trennt, sondern verbindet. Auf und teilweise neben der Grenzlinie stellen Skulpturen die Trümpfe des Tarots dar. Die roten Linien hier oben gehören zum Magier, der aus dem See ragt.

Grenzen und Schreiben – zwei Dinge, die sich gegenseitig inspirieren. Die Kunstgrenze öffnet Räume, zum Schreiben und Sein, magisch entstehen Buchstaben vor träumerisch dahinziehenden Wolken. Mein schreib-t-raum im Bild – es lohnt sich, immer mal wieder im Foto-Ordner zu kruschteln.

Sonntags-Gedicht: Nachtlied

Hey, Mond, Du stehst
in unserm Eck
Willst nicht mal weiter ziehen?
Mein Freund und ich,
dann, wenn Du gehst,
woll’n uns in Ruhe lieben.

Dein Licht erhellt
die dunkle Nacht
macht jedes Geheimnis weg
Wir woll’n doch nur
dass es vollbracht,
genießen rein und pur.

Mensch, Mond, halt ein,
bist halt ’ne Frau
Du störst im Männerbund!
Sonst könnten wir ja auch mit 3n,
Du weißt schon, ja, genau.

Doch Du mit Deinem großen Rund
lässt uns jetzt wieder warten.
Zwei lange Wochen
machst Du Licht
Ach, schleich Dich in den Garten!

Statt am Sonntag am Montag und mit einer Woche Verspätung traue ich mich nun, mein am letzten Sonntag geschriebenes Nachtlied hier öffentlich zu machen. Es entstand im Rahmen eines Schreib-Treffens im Albertinum in Dresden und wurde vor dem Bild „Zwei Männer in Betrachtung des Mondes“ von C.D. Friedrich von mir verfasst.

Bild-Tagebuch

Ein Tagebuch ist ein Ort der Erinnerung, des Sammelns, der Reflexion und des Kommentierens. Tagebucharten gibt es viele, genauso wie die Tagebuch-Schreibenden ganz unterschiedliche Gründe und Ziele mit ihrem Schreiben verfolgen. Meist bleiben Tagebücher privat, ja sogar geheim, manchmal werden sie veröffentlicht.

Eine ganz besondere Art des „Tagebuchs“ habe ich letztens bei der Künstlerin Wiebke Logemann aus Schleswig-Holstein entdeckt. Offensichtlich seit sieben Jahren malt sie „ein Bild am Tag„. Denn es gebe „weiterhin verflixt viele Gründe den weltlichen Irrsinn zu kommentieren“. Da kann man ihr nur recht geben – und sich fragen, warum man das selbst nicht tut.

Aktiv werden kann man, indem man ihr einen Textvorschlag schickt, den sie dann illustriert. Ausprobiert habe ich dies (noch) nicht, spannend klingt es. Und natürlich reizt es mich, den umgekehrten Weg zu gehen und zu ihren Bildern zu texten.

348 Samstage mit 13-BR

Meine von meinem Vater geerbte Einmot war schon seit Jahren mein bester Freund. Während meine Frau mit Ihrem Waldemar samstags beim Hundefriseur weilte, putzte ich sorgfältig Scheibe um Scheibe, Flügel um Flügel, spritzte, schampoonierte, bürstete, polierte ich die 13-BR von neun Uhr fünfzehn bis zehn Uhr fünfunddreißig. Woche für Woche. Gerne.
Doch an diesem Samstag, in der 346. Woche unserer Beziehung, war alles anders. Kaum hatte ich das Tor geöffnet, sprach sie, die bisher immer wortlos mit mir kommuniziert hatte, mit lauter Stimme.
„Stehenbleiben, keine Bewegung!“
Sofort nahm ich die Hände hoch und wartete auf das unvermeidliche „und jetzt drehen Sie sich ganz langsam um“. Das blieb aus.
Wie lange ich erstarrt da stand, kann ich nur aus unseren familiären Gewohnheiten schließen. Normalerweise kommt meine Frau um neun Uhr dreiundzwanzig mit Waldemar aus dem Haus, um pünktlich los zu fahren. Irgendwie muss sie gemerkt haben, dass etwas anders ist als sonst.
„Kurt, alles klar?“
Nun war ich wieder handlungsfähig. Ich rollte mich zur Seite weg, verbarg mich hinterm Efeu und schloss von dort aus das Tor. Da die Reinigung meines Freundes durch das Seitenfenster der Garage nicht das von mir gewünschte Ergebnis bringt, überlege ich nun, von hinten eine Tür einzubauen.

(Ein Versuch zu dem gestern zufällig ausgewählten Bild – auf der zweiten Seite, in der dritten Reihe das vorletzte Bild – in der Foto-Auswahl von Hartl, und nein, ich habe nicht vorher gespickelt. Dass ich mich mit Fliegen und Fliegern nicht auskenne, merkt wahrscheinlich jeder eingeweihte.)