Schreiben darf man lernen

Es wird viel gejammert über fehlende Schreibkompetenz. Wenn ich erzähle, dass ich Menschen im Schreiben trainiere, klagt schnell jemand, dass er letztens wieder so einen fürchterlichen Behördenbrief oder eine unverständliche Gebrauchsanweisung vor sich hatte. Und im Zusammenhang mit Pisa und Schulbildung sind Klagen über junge Menschen, die nicht schreiben können, häufig.
Das Nicht-Schreiben-Können betrifft dabei, seltsamerweise, oft andere – die sollten das lernen, nicht ich. Und es ist eine Zustandsbeschreibung: Es gibt wenig Schreibkompetenz. Doch woher kann und soll Schreibkompetenz kommen?

Ich gehe davon aus, dass Schreiben gelernt werden kann – sonst hätte ich schließlich meinen Beruf verfehlt – und dass Schreiben auch gelernt werden darf. Viele von uns schlagen sich irgendwie durch, bekommen die Texte, die geschrieben werden müssen, mehr oder weniger gut hin. Die allerwenigsten Menschen, abgesehen vielleicht von Berufsschreibern wie z.B. Journalisten, haben aber richtig gelernt zu schreiben. Sicherlich, in der Schule wurde ihnen beigebracht, die Buchstaben korrekt zu malen, die Rechtschreibung und Zeichensetzung  zu beherrschen, im Idealfall. Später wurden Aufsätze und Erörterungen geschrieben und benotet. Schreiben ist aber weit mehr, ist Kommunikation und Ausdruck, Stil und Form, Projektmanagement und Textwissen.

Schreiben lernen heißt für mich, den Überblick über den komplizierten und anstrengenden Schreibprozess zu haben, zu wissen, was man tut, was man tun will und wie man es tut und noch tun kann. Schreiben lernen heißt auch, die Probleme, Schwierigkeiten und Fehler, die auftreten können, zu kennen und damit umgehen zu können. Dafür dass Schreiben in diesem Sinn nach wie vor (in Deutschland) kaum gelehrt wird, schlagen sich viele Menschen erstaunlich erfolgreich damit durch. Fairer wäre es, wenn mehr systematische Lern- und Übungsmöglichkeiten geschaffen würden, wenn jedem Einzelnen klar wäre, dass Schreiben gelernt werden kann und darf. Dann müsste niemand mehr seine Schwierigkeiten beim und mit dem Schreiben als persönliches Versagen und individuelle Unfähigkeit ansehen. Dann könnten diejenigen, die sich bisher einigermaßen gut durchschlagen, bewusst, gezielt, professionell schreiben. Und sinnvoller als Jammern wäre es allemal.

Bewegung ins Schreiben bringen

Manchmal stecken wir bei einem Schreibprojekt so richtig fest. Keine Idee, keine Formulierungen, nur unpassende Wörter kommen uns in den Sinn. Statt vor dem Bildschirm zu verzweifeln und das, was es von dem Text schon gibt, zu verschlimmbessern oder gar zu löschen, darf Bewegung ins Spiel gebracht werden.

Dazu sehe ich drei Möglichkeiten:

1. den Mund bewegen: Greifen Sie zum Telefonhörer oder gehen Sie in die Küche. Dem ersten, auf den Sie treffen, erzählen Sie, worüber Sie schreiben sollten oder wollen und warum es nicht weiter geht. Reden Sie einfach drauf los – normalerweise muss gar niemand antworten. Ideen kommen beim Sprechen.

2. spazierengehen: Wenn der Geist unbeweglich wird, hilft es, den Körper zu bewegen. Gehen Sie spazieren, walken oder joggen Sie, je nach dem welche Geschwindigkeit für Sie die richtige ist. Ich habe es zwar nicht ausprobiert, aber ich würde wetten, Fahrradfahren, Inlinern oder Langlauf funktionieren genauso. Nehmen Sie eine halbe Stunde Auszeit vom Schreibtisch, lassen Sie sich frische Luft um die Nase wehen und entspannen Sie. Dabei nehmen Sie Ihr Schreibprojekt zwanglos mit, aber konzentrieren Sie sich lieber auf Ihren Körper oder die Umgebung. Ideen kommen im Vorbeigehen.

3. den Ort wechseln: Als drittes können Sie Ihr Notizbuch oder den Laptop auch mit raus aus dem Büro nehmen. Bewegen Sie sich hin zu einem Ort, der Sie inspiriert. Wo können Sie frisch und unbeschwert neu an Ihren Text herangehen? Bevorzugen Sie das Murmeln und die Musik in einem Cafe oder die Stille des Waldes? Hilft Ihnen das Fließen eines Flusses oder die Übersicht auf einem Berg? Haben Sie einen Lieblingsort zum Schreiben oder entdecken Sie für jedes Schreibprojekt mit seinen eigenen Stockungen einen anderen Schreibraum für sich? Ideen kommen aus der Umgebung.

Bewegung lässt Schreiben wieder in Fahrt kommen oder sorgt von vorne herein für den richtigen Schreibfluss. Außerdem ist es ein guter Ausgleich für all die sitzende Schreibtätigkeit – Ihr Rücken wird es Ihnen danken.

Beim wissenschaftlichen Schreiben hat man nie ausgelernt

Gerade bin ich dabei, mich auf meine Schreibwerkstatt für wissenschaftliches Schreiben an der Uni Konstanz einzustimmen, die morgen wieder beginnt. Dabei bin ich erneut über ein Zitat von Gabriele Ruhman, der Leiterin des Schreibzentrums der Ruhr Universität Bochum gestolpert. Sie sagt, man müsse beim wissenschaftlichen Schreiben vor allem lernen, dass man dabei nie auslerne.

Dieser Satz kann ziemlich demotivierend wirken, kann man ihn doch so verstehen, dass das wissenschaftliche Schreiben eben so schwer ist, dass man es nie richtig beherrscht. Ich finde den Satz in zweierlei Hinsicht tröstlich:
1. entlastet mich das, denn ich muss nicht glauben, dass es mein persönliches Versagen ist, wenn meine wissenschaftlichen Texte noch nicht optimal gelingen. Es gilt weiterzulernen, zu wachsen; es gibt ein Recht, zu üben und sich zu entwickeln.
2. wissenschaftliches Schreiben bleibt spannend, denn ich kann mich und meine Texte immer weiter verbessern. Ich muss nicht fürchten, irgendwann in ermüdende Routine zu verfallen, das Schreibenmüssen als lästige Pflicht anzusehen. Es bleibt eine Herausforderung, die Neues aus mir herauskitzelt.

Besonders schön illustriert ist diese Aussage in den Podcasts des Schreiblabors der Uni Bielefeld. Hier erzählen WissenschaftlerInnen von Ihrem Schreiben, den Schwierigkeiten, vor denen sie dabei stehen, und den Lösungen, die sie für sich gefunden haben. Die Tipps, die sie geben, kommen direkt aus der Schreibpraxis und sind nicht nur für wissenschaftlich Schreibende interessant. Nur schade, dass der Blog nicht weitergeführt worden ist.

Arbeitsteilung beim Schreiben

Ist kreatives Schreiben nur kreativ und wissenschaftliches oder berufliches Schreiben gar nicht? So zugespitzt sagt wahrscheinlich jeder nein, doch im Schreiballtag fühlt es sich manchmal anders an.

Ich gehe davon aus, dass jeder Schreibprozess beides braucht, das kreative und das formale. Kreativ geschriebene Texte profitieren von klarer Struktur und Überarbeitungen auf allen Ebenen genauso wie ein Sachtext Neues, Lebendiges, Ungewöhnliches verdient. Deshalb gelingt Schreiben immer dann, wenn der Autor/ die Autorin zwei entgegengesetzte Haltungen einnimmt: die Haltung des Künstlers und die des Kritikers.

Der Künstler in Ihnen produziert viele Ideen, stellt auch ungewöhnliche Verbindungen her, kann ansprechend und schön gestalten und ist manchmal ein wenig verrückt. Der Kritiker schaut ganz genau hin, verwirft, verbessert, strukturiert; er hat die Regeln im Kopf und verliert das Ziel und den Rahmen nicht aus den Augen. Die beiden kommen nicht gut miteinander aus, weil sie so verschieden sind, und können sich gegenseitig blockieren. Dann wird Schreiben schwer. Deshalb geht es darum klar zu haben, wer wann ans Ruder darf und wer in der aktuellen Schreibphase besser einen Kaffee trinken gehen soll.

Der Kritiker mit seinem Perfektionismus verhindert oft, dass wir überhaupt anfangen zu schreiben. Ist der Künstler zu aktiv, findet kaum ein Leser Zugang zu unserem Text, hält er sich ganz raus beim Schreiben, kann es sein, dass wir selbst vor Langeweile einschlafen. Also sollten wir Künstler und Kritiker zu einer produktiven Zusammenarbeit bewegen. Manchmal hilft es, dem zurückhaltenderen von beiden einen bestärkenden Brief zu schreiben, oder die beiden in einem Dialog ihre Zusammenarbeit selbst miteinander aushandeln zu lassen.
Und dann entstehen Texte, die klar und einfallsreich, anschaulich und strukturiert, korrekt und überraschend sind.

Heute ist National Day on Writing

in den USA (siehe hier). Aber das hindert uns ja nicht daran, den heutigen Tag selbst zum Schreibtag zu erklären und dies in die Welt zu posaunen. Doch was soll ein nationaler oder internationaler Tag des Schreibens sein? Drei Ideen dazu von mir:

1. Am heutigen Schreibtag verkünden wir, dass Schreiben nicht nur die zentrale Schlüsselkompetenz im Berufsleben ist, sondern dass es auch ein Handwerk ist, das gelernt werden, eine Fertigkeit, die trainiert, verbessert, optimiert werden kann. Schreiben ist wie Laufen: Wer nach den ersten wackligen Schritten weiter übt und sich die Anleitung von Profis holt, läuft bald allen voraus.

2. Wenn Schreiben so zentral ist, wie man es überall lesen kann, dann fragen wir alle Verantwortlichen im Bildungsbereich, wie dies mehr gefördert und besser unterrichtet werden kann. Von Lehrern und Ausbilderinnen über Verwaltungsangestellte in allen Ebenen bis hin zu Bildungs-, Wissenschafts- und Wirtschaftsministern/-innen sind alle angesprochen: Was tun Sie heute für die Schreibnation Deutschland?

3. Was ist alle Politik ohne das Tun? Deshalb das wichtigste für den heutigen Schreibtag: Schreiben wir! Briefe, Tagebuch, Zeitungsartikel, Forenbeiträge, Gedichte, Sachtexte, Geschichten, Blogbeiträge, Listen, Dokumentationen, Kommentare, … Heute schreiben wir mit besonders viel Freude und Elan. Wenn der Text geschrieben ist, machen wir ihn Stück für Stück besser. Und danach raus aus der Schublade mit allen Texten.

Dokumentieren oder nicht dokumentieren?

Im www gibt es schon alles, man muss es nur finden. Heute habe ich schöne bunte Bildchen zur Kommunikation im Geschäftsleben gefunden.
Wer Jackie ist und ob er oder sie oder sonst jemand diese Bildchen gemalt hat, weiß ich nicht. Deshalb hier einfach der Link zu Jackies Log. Besonders schön, zumindest aus meiner Sicht: das Bild in der Mitte „Wie das Projekt dokumentiert wurde“. Genau deshalb habe ich hier letztens über Easy Writing berichtet.
Ob es wirklich so schlimm ist?

Die Schreibfitness-Mappe – ein Buchtipp

Nach „Wer schreiben kann, macht Karriere“ hat die Schreibcoach Ulrike Scheuermann mit der Schreibfitness-Mappe in diesem Jahr einen zweiten Ratgeber zum beruflichen Schreiben bei Linde veröffentlicht. Und auch wenn sie natürlich dieselbe geblieben ist und sich beide Bücher überschneiden, lohnt es sich, beides anzuschauen oder damit zu arbeiten.

Die Schreibfitness-Mappe ist eine Arbeitsmappe, die jeder beruflich Schreibende ganz nach den eigenen Zielen und Bedürfnissen individuell durcharbeiten kann. Jede Doppelseite stellt ein Thema kompakt und übersichtlich dar und ist mit anderen Themen verlinkt – wie die Rollenspielbücher früher a la „Wenn du das …, dann lese weiter auf Seite …“
Der erste Teil enthält zehn Checklisten, mit denen man sein eigenes Schreiben untersuchen kann. Im zweiten Teil folgen 15 Fallbeispiele mit typischen Problemen, die beim beruflichen Schreiben auftauchen können. Sie helfen einem, dem eigenen Schreiben mit seinen besonderen Fallstricken auf eine andere Weise auf die Spur zu kommen. Das für mich Wesentliche folgt in Teil drei: 35 Übungen, jeweils erklärt und mit Beispielen illustriert. Welche Übung die richtige ist, weiß man aus den ersten beiden Teilen.

Ich muss zugeben, ich war äußerst kritisch, ob Ulrike Scheuermann noch so viel Neues zum Schreiben zu sagen hat, dass sich ein Blick in die Fitness-Mappe lohnt. Doch durch das gänzlich andere Konzept, viele Erweiterungen und andere Blickwinkel ist die Schreibfitness-Mappe eine tolle Ergänzung zum Ratgeber.