Über das Wetter schreiben

Neben dem gestern vorgestellten 10-Jahresbuch von arsEdition gibt es ein ähnliches Buch auch vom Präsenz-Verlag. Hier fällt auf: Es gibt eine extra Spalte mit Wettersymbolen zum Ankreuzen und Platz für die Tagestemperatur. Ist das Wetter so zentral, dass es Platz finden sollte in jeder 10-Jahres-Chronik?

Das Wetter ist schon eine wichtige Sache. Fast jeder, der in der frühen Jugend erste Tagebucherfahrungen gesammelt hat – in den schönen Büchlein mit Schloss dran – hat notiert, wie das Wetter war und was es zum Mittagessen gab. Das Wetter ist das Smalltalk-Thema Nummer eins, bietet sich an für lockere, aber nicht zu gewagte E-Mail-Grußformeln, mit nebligen Grüßen vom Bodensee oder ähnliches, und auch in Geschichten und Filmen wird es gezielt eingesetzt und beschrieben. Das Wetter bietet darüberhinaus eine wichtige Begründung für so vieles im Leben, was man gemacht oder eben nicht gemacht hat. Es ist schuld an Kopfschmerzen, bestimmt das Freizeitprogramm und erklärt, warum man nicht schreiben konnte – wenn es gut ist, weil man lieber rausgehen wollte, wenn es schlecht ist, weil man nicht die richtige Stimmung dafür hatte.

Und dennoch: Warum sollte ich, Tag für Tag, 10 Jahre lang, jeden Tag das Wetter notieren? Will ich neben meinem persönlichen Lebensverlauf auch die Klimakatastrophe abbilden? Oder ist es einfach ein Trick, damit ich durch ein schnell zu setzendes Kreuzchen leicht mit dem Schreiben beginnen kann, und danach flutschen die freien Zeilen nur so aufs Papier? Vielleicht ist es das wert, ausprobiert zu werden. Oder ich nehme es symbolisch, kreuze mein inneres Wetter an und notiere die Gradzahl meines Wohlbefindens.

Warum ist Tagebuchschreiben so schwierig?

Mein gestriger Beitrag mit der Idee eines Tagebucheintrags der ganz anderen Art brachte mich auf diese Frage. Eigentlich weiß ich, dass es mir gut tut: tägliches Schreiben nur für mich. Und doch mache ich es meist nicht.

Verschiedene Schreibweisen habe ich ausprobiert, die ich hier alle zusammenfasse. Tagebuch ist so gemeint, dass ich täglich oder einfach regelmäßig für mich schreibe, für meine persönliche Entwicklung. Nicht so sehr zum Festhalten, eher zum Gewahrwerden, um mich selber zu lesen und dadurch eine Richtung zu erhalten. Längere Zeit haben mich die Morgenseiten nach Julia Cameron begleitet, mehr oder weniger lang ein Tagebuch zum Ankreuzen (vom Knaur Verlag), die Entschlüsse jeden Tag ein Elfchen/ ein Haiku/ ein Akrostichon zu meinem Vornamen zu schreiben oder drei Dinge, für die ich heute dankbar bin zu notieren. Alle Versuche endeten unbemerkt wieder, obwohl jede dieser Arten täglich zu schreiben gut war, ein klassisches Tagebuch habe ich sowieso nur in kurzen Phasen jugendlicher Desorientierung geschrieben.

Jetzt könnte man meinen, dann ist es halt nicht so wichtig, vielleicht geht es mir einfach zu gut zum Tagebuchschreiben. Das ist ein Grund zu Zufriedenheit statt zum Grübeln. Trotzdem bleibt die Sehnsucht nach einem Ritual, nach Weiterschreiben auch in guten Lebensphasen. Die Erfahrung und die Vorstellung ist, dass Schreiben mein Leben intensiviert. Negatives zu schreiben zieht mich nicht runter, sondern lässt mich klar sehen und die anstehende Veränderung anpacken. Positives zu schreiben zentriert mich und macht mir mein Glück bewusster. Wenn ich dennoch nicht schreibe, ist dies ein Versuch, in Unverbindlichkeit und Mittelmaß stecken zu bleiben? Oder ist im Leben einfach zu wenig Zeit zum Schreiben?

Vielleicht braucht das Tagebuchschreiben zuerst ein Ritual. Ein Ritual, das den Rahmen vorgibt, aber die Suche nach der passenden Form ermöglicht. Ein Ritual, das zur Gewohnheit wird und doch an die aktuelle Situation angepasst werden kann. Neulich stand ich im Buchgeschäft vor einem Tagebuch-Kalender, in dem zehn Jahre Platz finden: 365 Seiten mit 10 Absätzen. Ich habe es mir nicht gekauft, weil ich nicht zwanzig Euro ausgeben wollte für ein Buch, das dann im Regal steht – neben vielen wunderschönen Notiz- und Schreibbüchern. Doch irgendwie bleibt der Reiz. Vielleicht könnte so ein Projekt das hilfreiche Ritual bieten, das dann in unterschiedlicher Form gefüllt wird.