Ein handgeschriebener Brief

Heute hat der Postbote eine Überraschung für mich: Neben Rechnung, Bankwerbung und Burger-Coupons liegt ein rosaroter Umschlag mit Schmetterlingen beklebt. Mein Herz pocht freudig, fast wie frisch verliebt. Direkt draußen vor dem Briefkasten aufreißen oder lieber das Besondere im Sessel zelebrieren? Ich entscheide mich für ein Mittelding: aufreißen, die einzelnen Blätter betrachten, zurückstecken und dann, später in der Wohnung, ganz in Ruhe von vorne bis hinten lesen. Welch ein Fest!
Dieses Glück verdanke ich allein dem Umstand, dass eine Freundin von mir ohne Internetanschluss auf einer Insel weilt. Denn mal ehrlich: Wann habe ich den letzten Brief von Hand geschrieben? Ab und zu eine Postkarte aus dem Urlaub oder wenn mir sehr liebe Menschen Geburtstag feiern und weit weg wohnen. Doch auch da greife ich eher zum Telefonhörer oder schreibe E-Mails. Nichts gegen Computerbriefe: Sie sind leicht zu entziffern, kommen direkt nach dem Senden an und kosten kein Porto; ich kann mein Gegenüber unkompliziert zitieren, lange Texte oder Fotos anhängen oder sogar Textbausteine benutzen.
Briefe sind anders, sind besonders. Ein Brief braucht Zeit und Ruhe, er schreibt sich nicht zwischendurch als Minipause von der Arbeit. Ich wähle bewusst das Papier, den Stift. Ich schreibe anders, anderes, mehr von mir selbst und aus mir heraus. Meine Stimmung zeigt sich auf dem Papier, an der Schrift, die immer unleserlicher wird. Ein Brief muss zur Post gebracht werden und, wenn er ankommt, ist er schon nicht mehr aktuell. Ein abgeschickter Brief ist weg. Manchmal wunderte ich mich schon, was ich geschrieben hatte, als ich eine Woche später eine Antwort auf meinen Brief bekam.
Briefe sind näher am Herzen, menschlich, sinnlich. Manche würden vielleicht sagen ganzheitlicher, mit mehr Beteiligung der rechten Gehirnhälfte. Der Brief mit den Schmetterlingen hat mich flattern lassen. Und den Entschluss gebracht: Ich möchte wieder regelmäßig zum Briefpapier greifen.

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