Warum schreiben?

Es gibt viele Motivationen und Gründe zu schreiben, verschiedene Funktionen, die das Schreiben erfüllen kann. Meine heutigen 27 Antworten auf die Frage Warum schreiben?:

Ich schreibe,

  • weil ich mir was merken muss
  • um mich abzusichern
  • um Kontakt zu halten
  • um meine Gedanken zu klären
  • weil ich Spaß daran habe
  • weil ich mich selbst lesen will
  • um Erinnerungen festzuhalten
  • weil ich muss
  • um Angebote zu unterbreiten
  • um Beziehungen zu gestalten
  • weil ich vorankommen will
  • weil es das Leben kreativ und vielfältig macht
  • um Alternativen gefahrlos auszuprobieren
  • um Zusammenhänge zu verstehen
  • um Gefühle loszuwerden
  • um Situationen zu klären
  • weil ich mein Wissen darstellen will
  • um mich auszutauschen
  • um gelesen zu werden
  • weil ich Freude an Sprache und Worten habe
  • weil ich beim Reden oft langsam bin
  • weil ich damit Welten und Bilder erschaffen kann
  • um zu mir zu kommen
  • um andere zu erreichen
  • um meine Gedanken mitzuteilen
  • weil es mich sinnvoll, preisgünstig und unkompliziert beschäftigt
  • weil es fast immer und überall möglich ist

Warum und wozu schreiben Sie?

Über das Wetter schreiben

Neben dem gestern vorgestellten 10-Jahresbuch von arsEdition gibt es ein ähnliches Buch auch vom Präsenz-Verlag. Hier fällt auf: Es gibt eine extra Spalte mit Wettersymbolen zum Ankreuzen und Platz für die Tagestemperatur. Ist das Wetter so zentral, dass es Platz finden sollte in jeder 10-Jahres-Chronik?

Das Wetter ist schon eine wichtige Sache. Fast jeder, der in der frühen Jugend erste Tagebucherfahrungen gesammelt hat – in den schönen Büchlein mit Schloss dran – hat notiert, wie das Wetter war und was es zum Mittagessen gab. Das Wetter ist das Smalltalk-Thema Nummer eins, bietet sich an für lockere, aber nicht zu gewagte E-Mail-Grußformeln, mit nebligen Grüßen vom Bodensee oder ähnliches, und auch in Geschichten und Filmen wird es gezielt eingesetzt und beschrieben. Das Wetter bietet darüberhinaus eine wichtige Begründung für so vieles im Leben, was man gemacht oder eben nicht gemacht hat. Es ist schuld an Kopfschmerzen, bestimmt das Freizeitprogramm und erklärt, warum man nicht schreiben konnte – wenn es gut ist, weil man lieber rausgehen wollte, wenn es schlecht ist, weil man nicht die richtige Stimmung dafür hatte.

Und dennoch: Warum sollte ich, Tag für Tag, 10 Jahre lang, jeden Tag das Wetter notieren? Will ich neben meinem persönlichen Lebensverlauf auch die Klimakatastrophe abbilden? Oder ist es einfach ein Trick, damit ich durch ein schnell zu setzendes Kreuzchen leicht mit dem Schreiben beginnen kann, und danach flutschen die freien Zeilen nur so aufs Papier? Vielleicht ist es das wert, ausprobiert zu werden. Oder ich nehme es symbolisch, kreuze mein inneres Wetter an und notiere die Gradzahl meines Wohlbefindens.

Warum ist Tagebuchschreiben so schwierig?

Mein gestriger Beitrag mit der Idee eines Tagebucheintrags der ganz anderen Art brachte mich auf diese Frage. Eigentlich weiß ich, dass es mir gut tut: tägliches Schreiben nur für mich. Und doch mache ich es meist nicht.

Verschiedene Schreibweisen habe ich ausprobiert, die ich hier alle zusammenfasse. Tagebuch ist so gemeint, dass ich täglich oder einfach regelmäßig für mich schreibe, für meine persönliche Entwicklung. Nicht so sehr zum Festhalten, eher zum Gewahrwerden, um mich selber zu lesen und dadurch eine Richtung zu erhalten. Längere Zeit haben mich die Morgenseiten nach Julia Cameron begleitet, mehr oder weniger lang ein Tagebuch zum Ankreuzen (vom Knaur Verlag), die Entschlüsse jeden Tag ein Elfchen/ ein Haiku/ ein Akrostichon zu meinem Vornamen zu schreiben oder drei Dinge, für die ich heute dankbar bin zu notieren. Alle Versuche endeten unbemerkt wieder, obwohl jede dieser Arten täglich zu schreiben gut war, ein klassisches Tagebuch habe ich sowieso nur in kurzen Phasen jugendlicher Desorientierung geschrieben.

Jetzt könnte man meinen, dann ist es halt nicht so wichtig, vielleicht geht es mir einfach zu gut zum Tagebuchschreiben. Das ist ein Grund zu Zufriedenheit statt zum Grübeln. Trotzdem bleibt die Sehnsucht nach einem Ritual, nach Weiterschreiben auch in guten Lebensphasen. Die Erfahrung und die Vorstellung ist, dass Schreiben mein Leben intensiviert. Negatives zu schreiben zieht mich nicht runter, sondern lässt mich klar sehen und die anstehende Veränderung anpacken. Positives zu schreiben zentriert mich und macht mir mein Glück bewusster. Wenn ich dennoch nicht schreibe, ist dies ein Versuch, in Unverbindlichkeit und Mittelmaß stecken zu bleiben? Oder ist im Leben einfach zu wenig Zeit zum Schreiben?

Vielleicht braucht das Tagebuchschreiben zuerst ein Ritual. Ein Ritual, das den Rahmen vorgibt, aber die Suche nach der passenden Form ermöglicht. Ein Ritual, das zur Gewohnheit wird und doch an die aktuelle Situation angepasst werden kann. Neulich stand ich im Buchgeschäft vor einem Tagebuch-Kalender, in dem zehn Jahre Platz finden: 365 Seiten mit 10 Absätzen. Ich habe es mir nicht gekauft, weil ich nicht zwanzig Euro ausgeben wollte für ein Buch, das dann im Regal steht – neben vielen wunderschönen Notiz- und Schreibbüchern. Doch irgendwie bleibt der Reiz. Vielleicht könnte so ein Projekt das hilfreiche Ritual bieten, das dann in unterschiedlicher Form gefüllt wird.

Mit oder ohne „ICH“ – studentisches Schreiben

Wer akademisches Schreiben unterrichtet, kommt an der Frage Ich oder Nicht-Ich nicht vorbei. Manche ermuntern leidenschaftlich dazu, zumindest im Rohentwurf viele Ichs zu verwenden, beispielsweise Judith Wolfsberger in ihrem Buch „Frei geschrieben.“ (Wien u.a., 2009). Andere schreiben zwar, dass es kein generelles Ich-Verbot (mehr) gibt, verweisen aber auf verschiedene Möglichkeiten, das Ich zu umgehen wie Otto Kruse im Klassiker „Keine Angst vor dem leeren Blatt“ (Frankfurt/Main, 2007).

Studentisches Schreiben funktioniert anders als wissenschaftliches Schreiben. Studierende schreiben in der Regel für ihren Dozenten, der sie benotet, nicht als Teil der wissenschaftlichen Diskursgemeinschaft. Sie sind jung und gerade dabei, wissenschaftliches Arbeiten und Denken zu erlernen, zu üben und erste Erfahrungen darin zu sammeln. Klare Regeln, wie „Schreibe nicht ich, weil es um die Argumentation geht und nicht um dich“, geben Orientierung.
Andererseits verlieren viele Studierende an den Hochschulen schnell die Freude am Schreiben, weil sie sich, ihre Lebenswelt und ihre Gedanken nicht darin wiederfinden. Dozierende klagen über Texte, bei denen Zitate aneinandergereiht sind ohne kritische Beurteilung, ohne eigenständige Denkleistung – von Angst vor der eigenen Meinung ist die Rede.

Mit oder ohne Ich löst das Problem nicht. Studierende sollen und dürfen sich eigenständig mit Sachverhalten auseinandersetzen. Zum Nachdenken über und Ausloten eines Themas, zum Fragen stellen und um Antworten ringen kann es hilfreich sein, viel zu schreiben und viel Ich zu schreiben. Im nächsten Schritt geht es darum zu lernen, wissenschaftliche Texte zu formulieren, die Konventionen einzuhalten, die fachwissenschaftliche Sprache zu benutzen und passende Formulierungen auszuwählen. Das kann weder von allein noch von heute auf morgen passieren.

Eine spannende Diskussion der Ich-Frage habe ich im Blog Shitty First Drafts gefunden, der mich – ganz sujektiv – allein schon wegen des Titels anspricht und durch seine klare Argumentation überzeugt.

Schreiben darf man lernen

Es wird viel gejammert über fehlende Schreibkompetenz. Wenn ich erzähle, dass ich Menschen im Schreiben trainiere, klagt schnell jemand, dass er letztens wieder so einen fürchterlichen Behördenbrief oder eine unverständliche Gebrauchsanweisung vor sich hatte. Und im Zusammenhang mit Pisa und Schulbildung sind Klagen über junge Menschen, die nicht schreiben können, häufig.
Das Nicht-Schreiben-Können betrifft dabei, seltsamerweise, oft andere – die sollten das lernen, nicht ich. Und es ist eine Zustandsbeschreibung: Es gibt wenig Schreibkompetenz. Doch woher kann und soll Schreibkompetenz kommen?

Ich gehe davon aus, dass Schreiben gelernt werden kann – sonst hätte ich schließlich meinen Beruf verfehlt – und dass Schreiben auch gelernt werden darf. Viele von uns schlagen sich irgendwie durch, bekommen die Texte, die geschrieben werden müssen, mehr oder weniger gut hin. Die allerwenigsten Menschen, abgesehen vielleicht von Berufsschreibern wie z.B. Journalisten, haben aber richtig gelernt zu schreiben. Sicherlich, in der Schule wurde ihnen beigebracht, die Buchstaben korrekt zu malen, die Rechtschreibung und Zeichensetzung  zu beherrschen, im Idealfall. Später wurden Aufsätze und Erörterungen geschrieben und benotet. Schreiben ist aber weit mehr, ist Kommunikation und Ausdruck, Stil und Form, Projektmanagement und Textwissen.

Schreiben lernen heißt für mich, den Überblick über den komplizierten und anstrengenden Schreibprozess zu haben, zu wissen, was man tut, was man tun will und wie man es tut und noch tun kann. Schreiben lernen heißt auch, die Probleme, Schwierigkeiten und Fehler, die auftreten können, zu kennen und damit umgehen zu können. Dafür dass Schreiben in diesem Sinn nach wie vor (in Deutschland) kaum gelehrt wird, schlagen sich viele Menschen erstaunlich erfolgreich damit durch. Fairer wäre es, wenn mehr systematische Lern- und Übungsmöglichkeiten geschaffen würden, wenn jedem Einzelnen klar wäre, dass Schreiben gelernt werden kann und darf. Dann müsste niemand mehr seine Schwierigkeiten beim und mit dem Schreiben als persönliches Versagen und individuelle Unfähigkeit ansehen. Dann könnten diejenigen, die sich bisher einigermaßen gut durchschlagen, bewusst, gezielt, professionell schreiben. Und sinnvoller als Jammern wäre es allemal.

Stephen Kings Leben und Schreiben – ein Buchtipp

Es gibt eine ganze Reihe von Büchern über das Schreiben aus der Feder erfolgreicher Schriftsteller. Nicht mehr neu, aber von mir jetzt erst entdeckt, ist das Buch „Das Leben und das Schreiben“ des Bestsellerautors Stephen King. Im Original ist es 2000 unter dem Titel ON WRITING erschienen, die deutsche Taschenbucherstausgabe 2002 bei Heyne.

Das erste bemerkenswerte an diesem Buch ist, dass es drei Vorworte und drei Nachträge enthält. Das ist erstaunlich für jemanden, der ganz zu Beginn schreibt, dies sei ein kurzes Buch. „Denn Bücher über das Schreiben sind voller Blödsinn.“
Zwischen Vorworten und Nachträgen liegen zwei Teile: der über das Leben und der über das Schreiben. Unter der Vorgabe, sein Werden als Schriftsteller nachzuzeichnen, schildert King Episoden seines Lebens von früher Kindheit bis zur Gegenwart. Das ist unterhaltsam und spannend zu lesen, wie es sich für einen echten King gehört, stillt die Neugier – wie lebt ein richtiger Schriftsteller, ein so erfolgreicher noch dazu? – und erzählt gleichzeitig schon einiges über Kings Gedanken zum Schreiben. In dem Teil über das Schreiben nimmt das Werkzeug Sprache einen großen Raum ein – ohne Wortschatz und Grammatik eben kein Text. Und weil King als eine Grundregel des Schreibenlernens „viel lesen“ ausgibt, enthält ein Nachtrag eine Liste mit lesenswerten Büchern ganz unterschiedlicher Art, alles was er während des Schreibens an diesem Buch gelesen hat.

„Das Leben und das Schreiben“ von Stephen King ist kein Schreibratgeber, mit dem jeder zum Bestsellerautor wird. Es ist ein persönliches Buch für alle, die den Horror-Autor kennenlernen wollen, und enthält viele interessante Ein- und Ansichten zum Schreiben.
Schreiben ist harte Arbeit und zum genialen Autor wird man nicht, wenn einem das Talent dazu fehlt. Doch Schreiben ist Leidenschaft.
„Und so fängt es an: Stellen Sie Ihren Schreibtisch in eine Ecke, und wann immer Sie sich ans Schreiben machen, halten Sie sich vor Augen, warum er nicht in der Mitte des Zimmers steht. Das Leben ist kein Stützgerüst für die Kunst. Es ist anderherum.“

Schreiben ist …

Gerhild Tieger zitiert im Tieger-Blog des Autorenhaus-Verlags den Schriftsteller Gunter Kunert. Er sagt, Schreiben sei eine Form der Verdrängung. Das nehme ich zum Anlass für 23 ungeordnete „Schreiben ist …“ – Aussagen, die ich in meinem Kopf und dann auf dem Bildschirm vorfinde:

Schreiben ist …

  1. Leben, ein Ergänzungs- oder Ersatzleben für das echte
  2. Buchstaben auf Papier bringen
  3. Kommunikation ohne sich anzusehen
  4. eine Reise in die Vergangenheit
  5. eine Reise in die Zukunft
  6. eine Reise, wohin auch immer
  7. das Denken in Tun verwandeln
  8. neue Ideen kreieren
  9. ordnen, strukturieren, verstehen
  10. rumspinnen dürfen
  11. Worte für Gedanken und Gefühle finden
  12. Mühsal und Qual
  13. ein lohnendes Unterfangen
  14. Sprachbilder malen
  15. Veränderung
  16. das Schwere verstehen und dabei Leichtigkeit entstehen lassen
  17. mit Stift und Notizbuch im Regen stehen, weil es gerade so anregend ist
  18. Bewegung der Finger
  19. Spuren erzeugen, vertiefen, vielleicht hinterlassen
  20. die Geschichte finden
  21. mit Worten spielen
  22. träumen auf dem Papier
  23. Sein