Überarbeitung – wie lang soll ich noch am Text rummachen?

Vielleicht der entscheidende Unterschied zwischen Laien und Profis beim Schreiben: Wie viel Zeit plant jemand für die Textüberarbeitung ein? Ich gehe – quadratisch, praktisch, übersichtlich – von einem Schreibprozessmodell mit vier Phasen aus: Vorbereiten, Strukturieren, Rohtexten, Überarbeiten. Die Arbeitszeit drittle ich: das erste Drittel für die Phasen 1 und 2, das zweite Drittel für das Schreiben des Rohtextes und das letzte Drittel für das Überarbeiten. Hierzu gehören idealerweise: Distanz gewinnen, Feedback einholen, Überarbeitung auf verschiedenen Ebenen, Korrigieren, Fertigstellen und Abgeben bzw. Veröffentlichen.

Nun unterscheiden verschiedene SchreibpädagogInnen unterschiedlich viele Phasen  – Modelle mit drei bis sieben Phasen sind mir bekannt – und benennen sie auch verschieden. Außerdem herrscht bei allen ExpertInnen Einigkeit, dass diese Phasen nur ein Modell sind: Die Praxis sieht viel komplexer aus. Phasen überschneiden und wiederholen sich, Schreibende hüpfen je nach Typ und Strategie zwischen den Phasen hin- und her. Doch für alle ist klar: Ein guter Text entsteht nur durch und erst während der Überarbeitung. Diese braucht Zeit. Dummerweise fehlt genau die Zeit jedoch oft, da Sie eben erst am Ende kommt.

Da hilft nur Einplanen. Das von mir veranschlagte Drittel der Gesamtarbeitszeit für ein Schreibprojekt wird auch von vielen KollegInnen vorgeschlagen, heute habe ich sogar in einem Schreibratgeber für Studierende gelesen, der Rohtext solle nach der Hälfte der zur Verfügung stehenden Zeit fertig sein. Soll ein Text also in einer Stunde fertig sein, muss ich in dreißig oder vierzig Minuten einen Rohtext vor mir haben; habe ich eine Bearbeitungszeit von einem Jahr, fange ich nach sechs bis acht Monaten mit dem Überarbeiten an.

Der Vorteil einer solchen Zeitplanung: Sie sind gezwungen, früh mit dem Formulieren zu beginnen, auch wenn vielleicht noch nicht alles klar ist. So geben Sie sich die Chance, dass der Text sich beim Schreiben entwickelt. Außerdem lässt es sich leichter flüssig voran und ins Unreine schreiben, wenn man weiß, es muss noch nicht perfekt sein, weil Zeit zum Verbessern bleibt. So geht das Schreiben schneller voran. Und wenn am Ende die geplante Überarbeitungszeit doch zu lange sein sollte, umso besser: Sie halten den Abgabetermin ein, haben mit hoher Wahrscheinlichkeit einen richtig guten Text verfasst und haben auch noch Zeit für eine ausgiebige Belohnung.

Write or Die – schneller Texte schreiben

Freewriting, Rohtexten, „Don’t get it right, get it written“ – viele Tipps zum Schreiben beruhen darauf, zunächst einmal Text zu produzieren, ohne Rücksicht auf Verluste, und danach zu sehen, was daran schon gelungen ist und wie es überarbeitet, verbessert und ergänzt werden kann. Die Software Write or Die soll dabei helfen.

Die Grundidee leitet sich aus der Lerntheorie ab: Langfristige, vage Belohnungen sind weniger hilfreich bei der Verhaltenssteuerung als kurzfristige, konkrete Bestrafungen. Will heißen: Wenn ich schreiben will, aber vorm Computer sitze und grüble statt zu tippen, passiert nichts schlimmes, außer dass ich halt hinterher ein blödes Gefühl habe, kein Text entsteht oder ich bei Texten, die ich zu einem bestimmten Zeitpunkt abgeben muss, später irgendwann unter Druck komme. So kennt wahrscheinlich jeder, der schreibt, die Situation nicht wirklich voranzukommen.

Bei Write or Die helfen negative Konsequenzen, im Schreibfluss zu bleiben. Es gibt das Programm als kostenlose Online-Version, die ich ausprobiert habe, sowie mit zusätzlichen Features als Download für den Desktop und als App für das iPad. So gehts:
Zuerst legt man die eigenen Schreibziele fest: X Wörter in Y Minuten. Daneben kann die Härte der Konsequenzen und die Dauer der Gnadenfrist in drei Stufen gewählt werden. Nach Ablauf der Frist – ein, zwei bis ungefähr zehn Sekunden – wird zunächst der Hintergrund von weiß über rosa knallrot. Danach stehen zur Wahl 1. eine freundliche Erinnerung weiter zu schreiben, 2. schlimme Musik, die erst endet, wenn man weiter tippt, oder 3. die Kamikaze-Version, dass sich der Text von hinten nach vorne selbst wieder löscht. Das wirkt.

Im Selbsttest merke ich, wie ich hektisch werde. Bloß nicht zurückschauen, weiter tippen, was immer kommt! An sich, das bemerke ich später, muss ich nicht hektisch in die Tasten hauen, es reicht beständig am Schreiben dran zu bleiben. Sogar das automatische Löschen von Tippfehlern ist kein Problem, Hauptsache der Schreibfluss versiegt nicht.
Auch wenn ich ruhiger schreibe, beschleunigt sich mein Schreiben. Das Runterzählen der Zeit und Hochzählen der Wörter wirkt jenseits der Konsequenzen motivierend. Und vor allem unkonzentriertes Abschweifen der Gedanken, bei dem die Finger das Schreiben aufhören, oder Ablenkung – nachlesen, nachschlagen, E-Mails überprüfen, Tee kochen – wird vermieden. Write or Die gesteht mir eine Pause zu, während der die Zeitzählung stoppt, danach läuft es einfach weiter. So kann es helfen, kurze (10 – 15 Minuten), aber intensive Schreibeinheiten zu gestalten. Dann werde ich von dem Programm sogar belohnt: 319 Wörter in 10 Minuten. Ich bin stolz auf mich und habe Lust, gleich weiter zu schreiben.

 

Durch Clustern zu runden Texten

Mir ist aufgefallen, dass ich das Cluster schon mehrfach erwähnt habe, aber noch nie erklärt. So will ich das nachholen und diese Standardmethode der Schreibpädagogik erläutern, die ich selbst auch zu vielen verschiedenen Gelegenheiten einsetze. Das Schöne daran ist, dass es nur fünf Minuten dauert und man so ganz schnell erste Textideen auf dem Papier stehen hat.

Das Cluster ist eine assoziative Schreibmethode, die auf Gabriele L. Rico zurück geht. Grundidee ist, dass beide Gehirnhälften aktiviert werden und dadurch die Grundlage für ganzheitliches Denken und runde Texte gelegt wird. Optisch erinnert das Cluster an ein Mindmap, es ist allerdings weniger strukturiert. Ein spontanes Ideennetz wird entwickelt.

Ausgangspunkt für das Cluster bildet ein Kernwort, das in die Mitte eines Blatts Papier (mind. Din A4, damit genug Platz ist) geschrieben und eingekreist wird. Davon ausgehend werden Assoziationsketten gebildet: Das Wort, das Ihnen als nächstes einfällt, schreiben Sie daneben, umkreisen es ebenso und verbinden die beiden Kreise mit einer Linie. Weiter mit dem neuen Wort, so lange, bis Ihnen nichts mehr einfällt. Dann gehen Sie zurück in die Mitte und beginnen von neuem. Das Ganze sieht so aus:

Abbildung eines ClustersDas Einkreisen und Verbinden beim Clustern dient dazu, dass die Schreibhand immer in Bewegung bleibt (wie beim Freewriting). Dadurch wird erreicht, dass frei assoziiert wird, eine Bewertung der Ideen und Wörter wird vermieden. Es muss also nicht strukturiert, bewertet oder geordnet werden beim Clustern, es gibt keine Hierarchie und keine falschen Ideen. Jede Assoziation, die sich einstellt, wird an der Stelle notiert, wo sie auftaucht. Lassen Sie Ihren Ideen, Ihrer Phantasie und Kreativität freien Lauf.

Das Clustern endet, wenn das Blatt voll ist oder – so ist es von v. Rico gedacht – wenn man einen Schreibimpuls spürt. Dann schreibt man den Text zügig auf, so wie er beim Clustern im Kopf entstanden ist. Es müssen nicht zwingend alle Begriffe, die im Cluster stehen, auch im Text vorkommen.

Auch wenn Sie nicht direkt einen Rohtext schreiben wollen, können Sie das Cluster verwenden: zum Aktivieren Ihres Vorwissens zu einem Thema, zum schnellen Mitschreiben beim Zuhören oder Lesen oder als erster Schritt zum Strukturieren eines späteren Textes. Dann können Sie nach dem Cluster die wesentlichen Punkte farbig markieren und durch das Anbringen von Nummern in eine sinnvolle Reihenfolge bringen.

Ein letzter Hinweis: Gerade Menschen, die gewöhnlich sehr strukturiert und geplant vorgehen, fällt das ganz assoziative Clustern manchmal anfangs schwer. Probieren Sie ruhig öfter aus, ob es für Sie eine hilfreiche Methode ist. Andererseits macht es ja auch nichts aus, wenn spontan und assoziativ ein geordnetes Ideennetz entsteht.

Schreibtagebücher begleiten Schreibprojekte

Wer sein Schreiben und Tun in einem Journal oder Schreibtagebuch reflektiert, bringt die eigenen (Schreib-)Projekte voran. Dies wird in manchem Ratgeber und von vielen Schreiblehrern warm empfohlen, Lucia macht es mit ihrem Blog öffentlich vor. Besonders nahegelegt wird das Führen eines solchen Journals Studierenden begleitend zu einer wissenschaftlichen Arbeit, zu einem Praktikum oder zu einem besonderen Studienabschnitt. Doch es ist dazu geeignet, (längere) Schreibprojekte aller Art zu unterstützen bzw. die eigene Schreibentwicklung allgemein zu dokumentieren und voranzubringen.

Ein Journal ist ein persönlicher Text, der hilft, das eigene Projekt erfolgreich abzuschließen, und aus dem sich auch für weitere Projekte lernen lässt. Ein zentraler Punkt dabei ist, dass die Aufzeichnungen nur für die eigenen Augen bestimmt sind. Das gibt Raum, den eigenen Zugang zum Thema zu finden sowie mit seiner eigenen Sprache und ohne Rücksicht auf Konventionen und Erwartungen von anderen zu schreiben, was über dieses konkrete Projekt hinaus die Entwicklung der eigenen Schreibstimme fördert.
Ein zweiter wichtiger Punkt, der für das Führen eines Schreibjournals spricht: Von Anfang an, gleich wenn die ersten vagen Ideen zum Thema auftauchen oder ein Schreibauftrag sich abzeichnet, beginnt man mit dem Schreiben. So gehen keine Ideen verloren, man gönnt sich sogar die Möglichkeit, beim Schreiben den Text zu entwickeln und auf gute Gedanken zu kommen. Außerdem hat man direkt die Anfangshürde überwunden und ist schon im Schreiben drin, wenn es mit dem Text richtig losgeht.

Möglichkeiten, was in ein Schreibjournal aufgenommen wird, gibt es viele. Dies lädt ein zu experimentieren, was einem selbst bei seinen Schreibprojekten am meisten weiterhilft. Neben inhaltlichen Teilen wie Freewritings zu verschiedenen Aspekten des Themas, Materialsammlungen, Literaturhinweisen und Zitaten, Alltagsbeobachtungen, die das geschriebene veranschaulichen können, und vielem mehr, halte ich das Schreiben über das Schreiben für besonders wertvoll. Wie ist mein Zeitplan und halte ich ihn durch? Welche Gefühle begleiten mein Schreibprojekt? Welche Schwierigkeiten treten beim Schreiben auf und welche Ideen habe ich, damit umzugehen? Zu solchen und ähnlichen Fragen lassen sich Freewritings oder Cluster erschreiben, Tabellen anlegen, Listen sammeln, Dialoge oder Briefe formulieren und vieles mehr.

Um das Potential eines Schreibjournals komplett zu nutzen, bietet es sich an, regelmäßig zwischendurch und nach Abschluss des Schreibprojekts die Aufzeichnungen durchzusehen, auszuwerten und Quintessenzen zu formulieren. Das können inhaltliche Kernsätze sein oder Ideen, die das Weiterarbeiten betreffen. Der Bremer Schreibcoach empfiehlt z.B., sich selbst prägnante Aufforderungen zu formulieren, die das zukünftige Schreiben verbessern oder erleichtern. Lucia, die sicherlich nur einen Teil ihres Schreibjournals öffentlich führt, hat am Rand der Schreibtischwelten eine Spalte eingeführt, in der sie zu jeder Woche am Ende ein Motto benennt. So hat sie selbst den Überblick und auch andere können von ihren Erfahrungen und Erkenntnissen lernen.

Mit Karteikarten ins Schreiben kommen und Struktur finden

Ein größeres Schreibprojekt liegt vor Ihnen, Sie haben sich schon viele Gedanken gemacht, dazu gelesen, das Thema konkretisiert und gegebenenfalls abgesprochen. Nun gilt es richtig anzufangen: Je nach Schreibtyp werden Sie eine mehr oder weniger detaillierte Gliederung Ihres Textes erarbeiten oder mit dem Schreiben des Rohtextes beginnen. Beides kann schwer fallen. Sie haben so viele Gedanken und Ideen, dass Sie nicht wissen, wie und wo beginnen.

Bevor Sie die Fenster putzen oder stundenlang an der Formatvorlage für den Text feilen, probieren Sie doch einmal die Karteikarten-Methode. Die hilft, die dreidimensionalen Gedanken in Ihrem runden Kopf in die lineare Form eines Textes zu bringen, den passenden Textaufbau zu finden. Sie lässt Sie ins Thema und ins Schreiben kommen. Vor allem hören Sie auf, nur über Ihr Schreibprojekt und Ihren Text nachzudenken, stattdessen handeln Sie. Sie brauchen dafür einen Stapel Karteikarten, Notizzettelchen oder auch Post-its, gerne in verschiedenen Farben, und einen Stift. Denn diese Methode funktioniert am allerbesten von Hand.

Jetzt schreiben Sie jeden Gedanken, den Sie zu Ihrem Schreibthema haben, auf eine Karte. Als Stichwort, als Frage, als Satz bzw. Halbsatz oder als Überschrift. So wie es Ihnen kommt. Gehen Sie ganz intuitiv vor, lassen Sie sich von Karte zu Karte treiben. Entlasten Sie sich von dem Anspruch, gleich logisch und strukturiert sein zu müssen; die Struktur, die in Ihnen zu Ihrem Thema schon vorhanden ist, wird sich von allein zeigen, der Rest darf sich entwickeln.

Wenn der Schreib- und Ideenfluss versiegt, ist Zeit, das Ergebnis anzusehen. Dazu brauchen Sie viel Platz: einen leeren Tisch, eine Fläche auf dem Fußboden, eine Pinnwand, zu der auch Schrankwandtüren oder eine große Fensterfläche werden können. Legen Sie die Karten aus, schieben Sie sie hin und her, ordnen Sie sie und lassen sie sich von allein ordnen. Ergänzen Sie Karten, wenn Ihnen weitere Stichworte oder Unterpunkte einfallen. Arbeiten Sie dabei ruhig im Stehen und schaffen Sie sich Übersicht.

Bisher haben Sie zehn bis fünfzehn Minuten investiert. Sie haben mit dem Schreiben begonnen und dabei mindestens den Anfang einer Textstruktur gefunden. Danach können Sie aus der Karteikartenstruktur, die vor Ihnen liegt, eine Gliederung machen, die Sie in Ihr Computerdokument übertragen. Oder Sie können sich ein Häufchen Karten aussuchen, zu dem Sie einen Rohtext schreiben.

Praktisch ist es, wenn Sie Ihre Karteikarten-Anordnung so lange liegen oder hängen lassen können, bis der Rohtext fertig ist. Dann können Sie Ihre Gliederung immer weiter verfeinern und leicht umsortieren, wenn sich beim Schreiben herausstellt, dass etwas nicht so funktioniert wie gedacht. Und wenn Sie dabei mit Post-its an den Fenstern arbeiten, sieht Ihr Büro von außen vielleicht bald aus wie auf diesen Bildern.

Akademisches Schreiben – der Schreibcoach der Uni Bremen

Am Lehrstuhl für Angewandte Linguistik der Universität Bremen entstand unter Federführung von Prof. Dr. Hans Krings ein Online-Ratgeber, der Studierende – und sicherlich nicht nur diese – beim wissenschaftlichen Schreiben unterstützt. In sieben Phasen von A wie Vorbereiten bis G wie Gestalten gibt es Tipps zum gesamten Schreibprozess.

Beim schnellen Überfliegen – ich habe den Schreibcoach erst vor Kurzem entdeckt, er ist wohl auch noch nicht allzu lange online – hatte ich den Eindruck, dass hier wirklich zu allen Fragen Tipps und Hinweise zusammengestellt sind: zu Schreibmotivation und Schreibschwierigkeiten genauso wie zu richtigen Zitierweisen, Formatierungshinweisen und noch vieles mehr. Besonders gefreut habe ich mich, als ich den Tipp gefunden habe, kreatives Schreiben zu praktizieren – das allein reicht nicht, um gute Hausarbeiten abzugeben, aber eine Möglichkeit das eigene Schreiben zu verbessern und Spaß daran zu entwickeln ist es durchaus.

Auf 310 Einzelseiten ist noch viel mehr zu finden. Damit man sich gut zurecht findet und, wenn man mitten in einem Schreibprojekt steht, schnell die Seiten anklicken kann, die einem in der aktuellen Situation weiter helfen, gibt es unter dem Button „Neueinstieg“ Situationsbeschreibungen und Einstiegsvorschläge. Der Bremer Schreibcoach – offensichtlich eine gute und schnelle Hilfe für das wissenschaftliche Schreiben.

Überarbeiten – vom Groben zum Feinen

Im letzten Schreibtipp habe ich über Schreibtypen geschrieben, die sich auch darin unterscheiden können, wie sie an die Textüberarbeitung herangehen. Grundsätzlich gilt weiter, dass Schreiben eine individuelle Angelegenheit ist, bei der jeder den für ihn richtigen, funktionierenden Weg finden muss. Dennoch gibt es für das Überarbeiten einige Hinweise, die für alle hilfreich sind. Dazu sieben Kurztipps:

1. Gönnen Sie sich und Ihrem Text mindestens eine Überarbeitungsrunde:

Auch wenn uns das im Deutschunterricht manchmal so suggeriert wurde, kein guter Text entsteht aufs erste Mal – die amerikanische Schriftstellerin und Schreiblehrerin Anne Lamott hat dafür das Schlagwort vom shitty first draft geprägt. Wenn wir uns von vorne herein mit dem Wissen ans Schreiben machen, dass wir einen Rohtext schreiben, den wir später überarbeiten werden, schreiben wir schneller, flüssiger und lieber. Und geben uns die Chance auf wirklich gute Texte.

2. Schaffen Sie Distanz zu Ihrem Text, bevor Sie sich ans Überarbeiten machen:

Ist ein Rohtext geschrieben, wurde viel geleistet. Sie haben sich eine Pause verdient. Außerdem ist jeder Autor direkt nach dem Schreiben erst einmal betriebsblind und vielleicht auch noch nicht bereit, von nur einem einzigen der mühsam errungenen Worte zu lassen. Deshalb lassen Sie zwischen Rohtexten und Überarbeiten etwas Zeit verstreichen – wie lange hängt von der Textlänge und dem Abgabezeitpunkt ab.
Distanz zu Ihrem Text gewinnen Sie außerdem, wenn Sie den Arbeitsort wechseln oder das Layout verändern. Je fremder Ihnen Ihr eigener Text erscheint, desto besser können Sie ihn überarbeiten.

3. Loben Sie sich zuerst für alles Gelungene:

Der Kritiker in uns ist stark, manchmal schafft er es sogar, dass wir gar nichts aufs Papier bringen. Schon allein deshalb dürfen Sie stolz sein auf Ihren Rohtext. Da Rohtexte ein bisschen wie rohe Eier sind – oder wie ein frisch geschlüpftes Baby – sollten Sie sorgsam mit sich und Ihrem Text umgehen. Machen Sie sich zuerst auf die Suche nach den Juwelen, markieren Sie alles, was in Ihrem Text gelungen ist, was Ihnen gefällt. Sichern Sie so, dass Sie in Ihrer Überarbeitungswut nicht aus Versehen gute Stellen ändern. Und wenn eine Formulierung zwar gut ist, aber nicht in diesen Text passt, kopieren Sie sie in eine „Fundstücke“-Datei.

4. Holen Sie sich Feedback von anderen:

Denken Sie nicht, Sie müssen alles alleine machen. Egal wie viel Distanz Sie zu Ihrem Text schaffen, richtig fremd ist Ihnen Ihr Text nie. Die schwierige Aufgabe, die Perspektive des Lesers einzunehmen und den Text mit dessen Augen zu lesen, können Sie sich beträchtlich vereinfachen, wenn Sie einen echten Leser um Rückmeldung bitten. Am besten geht dies, wenn Sie mit ein oder zwei anderen Personen eine Feedback-Gruppe bilden, in der Sie sich gegenseitig unterstützen. Überlegen Sie gut, ob Ihr Lebenspartner oder Ihr Chef dafür geeignet ist.
Sagen Sie klar, zu welchen Fragen Sie sich Rückmeldung wünschen. Und bitten Sie um beschreibendes Feedback: Worum geht es mir? Was hast Du verstanden? Wie erging es Dir beim Lesen? An welchen Stellen packt Dich der Text, wo steigst Du aus? Warum? – Antworten auf solche Fragen helfen Ihnen viel mehr als eine Bewertung.

5. Drucken Sie Ihren Text aus und markieren Sie, was Ihnen auffällt:

Ich will es oft selbst nicht einsehen und tappe in die Falle: Wirklich überarbeiten geht nur auf dem Papier, nicht auf dem Bildschirm. Verhindern Sie, dass Sie die schlimmsten Stellen in Ihrem Text erst dann bemerken, wenn es zu spät ist. Deshalb drucken Sie ihn aus, großzügig, also mit viel Platz für Anmerkungen. Wer Papier sparen möchte, kann Rückseiten benutzen.

Ist der Text ausgedruckt, markieren Sie zunächst nur, was Ihnen auffällt, ohne es gleich zu verändern. Nicht an allen Stellen ist der Erstentwurf schlecht. Notieren Sie wirklich alles, was Ihnen durch den Kopf geht, auf dem Ausdruck – ich verspreche Ihnen, dass Sie es sonst vergessen. Verwenden Sie zum Markieren am besten keinen roten Stift, sondern einen grünen oder lilanen oder was Ihnen passend erscheint und nicht nach Schule aussieht. Und arbeiten Sie beim Überarbeiten immer von vorne nach hinten, in der gleichen Richtung wie Ihre späteren Leser.

6. Lesen Sie sich Ihren Text laut vor oder lassen Sie ihn sich vorlesen:

Beim lauten Lesen wechseln Sie den Kanal und Sie hören, wie Ihr Text klingt. Dadurch bekommen Sie viele und andere Hinweise für Ihre Überarbeitung. Ich habe dies schon einmal in einem älteren Tipp erklärt, den Sie hier finden.

7. Arbeiten Sie vom Groben zum Feinen:

Kein Mensch kann auf alle Ebenen eines Textes gleichzeitig achten. Gewöhnen Sie sich deshalb an, eine Ebene nach der anderen ins Visier zu nehmen. Auch wenn Sie um Feedback bitten, benennen Sie klar, wozu Sie dies wollen. Arbeiten Sie dabei vom Groben zum Feinen: Zuerst müssen Inhalt und Grobstruktur des Textes stimmen, dann gehts zur Feinstruktur (Absätze) und zu Stil und Sprache. Wenn alle Formulierungen griffig und verständlich sind, können Fehler gefunden werden: Grammatik, Zeichensetzung, Rechtschreibung. Und ganz am Ende steht ein einheitliches, übersichtliches Layout, werden möglicherweise Silben getrennt, Verzeichnisse kontrolliert und ähnliches.

Arbeiten Sie ein, was Sie verändern wollen, wenn Sie die Markierungen für eine Ebene abgeschlossen haben. Überschreiben Sie dabei aber nicht einfach Ihr vorhandenes Dokument, sondern speichern Sie es als neue Version – manchmal stellt sich am Ende heraus, dass der ursprüngliche Text an der einen oder anderen Stelle doch besser war. Bevor Sie sich auf Fehlersuche begeben, drucken Sie die aktuelle Textversion noch einmal neu aus.

 

Nicht jeder Text benötigt gleich viel Überarbeitung, nicht jeder Text ist gleich wichtig. Und verbessern kann man Texte immer. Deshalb entscheiden Sie rechtzeitig, wann es genug ist, auch wenn der Text – natürlich – noch nicht perfekt ist. Sie wollen sich schließlich beim nächsten Text noch steigern können.