Frapalymo-Gedicht1: Schreibnacht

Geschrieben
die ganze Nacht geschrieben
über Geister, die ich rief
über Geister, die mich rufen
über Familie, Arbeit, mich

Geschrieben
habe ich heute Nacht
Notizen, Ideen, Listen
Sachtexte, Selbstdarstellungen, Gedichte
Akademisches, lyrisches, online-iges

Geschrieben
dies alles nachts im Traum
im Bett, in Gedanken, rein virtuell
ohne Stift, ohne Tastatur, ohne Spur
hätte ich besser tief geschlafen.

 

Frapalymo-Gedicht 1/2012, „findet diese nacht keine ruh“

Sonntags-Gedicht: Alltag in Konstanz

Jeden Morgen bei der Fahrt zur Arbeit
jeden Abend bei der Fahrt von der Arbeit
ein automatischer Blick
nach rechts bzw. links
vom Gipfel der Brücke über den See

– ein Glück, dass ich nicht mit dem Auto unterwegs bin –

Ob die Alpen zu sehen
wie die Alpen zu sehen
welche Farben oder nur Grau

Der eine Blick entscheidet
über den Tag
der andere Blick entscheidet
auch

 

Dieser Text ist angeregt von dem wahrlich goldenen Oktober in der letzten Woche und von Lucias Heimatgedanken.

Sonntags-Gedicht: Selbstanamnese einer Lyrikerin

Agoraphobie
Borreliose
Cholera

Depression, Demenz, Dekubitus
Erregungsstörungen
Fibromatose
Gelbsucht
Hysterie

Irritierbarkeit
Ja-Sage-Tendenz
Karies

Lippenherpes
Masern und Mumps
Nierenbeckenentzündung
Ohrenweh

Prosopagnosie
Querulanz
Rastlosigkeit
Sakrokoxalgie

Tollwut
Urteilsvermögen, eingeschränkt
Verdauungsinsuffizienz
Wassereinlagerungen
X-Beine
Y-Wort-Findungs- und
Zwangsstörung.

(Dieses Gedicht von letzter Woche hier, weils grad irgendwie so gut zum Beitrag von gestern passt.)

Gedicht am Dienstag: A & O

A ist der Anfang von diesem Gedicht
B ist ein Baby mit zartem Gesicht
C ist ein Clown, der im Zirkus spielt
D ein Dromedar, das zur Oase hin zielt
E ist ein Esel, so wie ich
F ist die Frau, sie betrachtet mich
G ist das Glück, das sie will fassen
H ist der Herr, den sie könnte hassen
I ist die Insel, nach der sie sich sehnt
J ist ein Jaguar, der seine Muskeln dehnt
K ist ein Kater, zum Schnurren geboren
L ist meine Lust, zum Lieben erkoren
M ist das Machen, das Tun statt dem Denken
N ist der Nachbar, dem ich Eier will schenken
O ist das Opfer, das Oder, der Ort
P ist Parole oder einfach ein Wort
Q ist der Qualm, der lästig aufsteigt
R ist der Reim, den ich habe vergeigt
S ist Sahne auf Erdbeerkuchen
T ein Traum von einem Eunuchen
U ist eine Ulme, vom Sturm geknickt
V ist der Vater, wenn er mal nickt
W ist ein Wagnis, verwirrt eingegangen
X ist der Xaver mit seinem Verlangen
Y ist ’ne Yacht, die im Bodensee liegt
Z ist das Zepter dessen, der siegt

nach Frantz Wittkamp, *1943, ohne Titel (A ist der Apfel, den ich esse …)