Verständlichkeit von Texten: Flesch-Wert

Ich bin auf ein neues „Spielzeug“ im Netz gestoßen, mit dem sich Texte überprüfen lassen. Diesmal handelt es sich um leichtlesbar.ch, für das Christian Bachmann verantwortlich ist. Wie im Domainname erkennbar, wird die Verständlichkeit oder Lesbarkeit von Texten beurteilt. Dazu wird die Flesch-Formel verwendet, die die Wort- und Satzlänge berücksichtigt: Je kürzer die Wörter und je kürzer die Sätze, desto höher der Flesch-Wert und desto leichter lesbar. Ein sinnvolles Spielzeug also, das auf Wortwahl und Satzbau aufmerksam macht.

Ich habe mir den Spaß gemacht und den gestrigen Artikel über das Buch von Judith Wolfsberger getestet. Ergebnis: 35. Das heißt, der Text ist etwas schwierig zum Lesen, Mittelschulniveau wird angenommen. Durchschnittliche bis anspruchsvolle Zeitungen haben für ihre Artikel ähnliche Werte. Da das Buch das Schreiben einer Abschlussarbeit an einer Uni erklärt, sollte er also nicht zu schwer sein.

Nun teste ich den Text bis hierhin. Ergebnis 56. Leichter als der andere, immer noch nicht leicht. Ich weiß, dass ich zu langen Sätzen neige. Nun fasse ich mich kurz. Besonders wichtig ist: nur kurze Wörter verwenden. Ob es so leichter wird? Ich teste neu. Dieser Abschnitt hat den Wert 88. Das verstehen Kinder in der fünften Klasse. Klassische Werbesprüche sind genau so. Ich glaube, ein bisschen komplexer darf es sein.

(Gesamttext: 64. Leicht. Wie eingängige Werbebriefe und -texte, schwieriger als Boulevardzeitungen. Das ist o.k. Übrigens: Der Inhalt spielt natürlich keine Rolle.)

Schreibt!-Raum 16: Random Hits

Bei Stephan Poromka (Schreiben unter Strom. Experimentieren mit Twitter, Blogs, Facebook & Co. Mannheim, 2012, S.25f) fand ich den Hinweis zu einem Schreibspiel der modernen Art: Plattencover gestalten per Zufallstreffer. Hier lässt sich das ganze automatisiert als kreative Pause ausprobieren.

Meine, für die Einheit copy and remix im Kurs Kreatives Schreiben an der Uni übersetzte und leicht veränderte Anweisung lautete:

  1. Sie öffnen ein Programm, mit dem Sie Bildgestaltung machen können – Photoshop, Präsentationsprogramm im Office oder pixlr.com .
  2. Sie wählen ein Bild als Cover aus: Nehmen Sie das vierte Bild unter Entdeckungen der letzten 7 Tage bei Flickr.
  3. Nun brauchen Sie einen Namen für Ihre Band. Gehen Sie auf Wikipedia, suchen Sie sich die Sprache aus und nehmen Sie den Titel des ersten Zufallstreffers als Bandnamen.
  4. Als letztes braucht Ihr Debutalbum noch einen Titel. Den finden Sie bei www.quotationspage.com. Unter „zufällige Zitate“ wählen Sie die letzten vier oder fünf Wörter des allerletzten Zitats auf der Seite.
  5. Nun packen Sie alles in Ihrer Bilddatei zusammen und können das Ergebnis speichern, auf der Lernplattform oder im Netz hochladen.

So kreativ kann kopieren sein!

Write or Die – schneller Texte schreiben

Freewriting, Rohtexten, „Don’t get it right, get it written“ – viele Tipps zum Schreiben beruhen darauf, zunächst einmal Text zu produzieren, ohne Rücksicht auf Verluste, und danach zu sehen, was daran schon gelungen ist und wie es überarbeitet, verbessert und ergänzt werden kann. Die Software Write or Die soll dabei helfen.

Die Grundidee leitet sich aus der Lerntheorie ab: Langfristige, vage Belohnungen sind weniger hilfreich bei der Verhaltenssteuerung als kurzfristige, konkrete Bestrafungen. Will heißen: Wenn ich schreiben will, aber vorm Computer sitze und grüble statt zu tippen, passiert nichts schlimmes, außer dass ich halt hinterher ein blödes Gefühl habe, kein Text entsteht oder ich bei Texten, die ich zu einem bestimmten Zeitpunkt abgeben muss, später irgendwann unter Druck komme. So kennt wahrscheinlich jeder, der schreibt, die Situation nicht wirklich voranzukommen.

Bei Write or Die helfen negative Konsequenzen, im Schreibfluss zu bleiben. Es gibt das Programm als kostenlose Online-Version, die ich ausprobiert habe, sowie mit zusätzlichen Features als Download für den Desktop und als App für das iPad. So gehts:
Zuerst legt man die eigenen Schreibziele fest: X Wörter in Y Minuten. Daneben kann die Härte der Konsequenzen und die Dauer der Gnadenfrist in drei Stufen gewählt werden. Nach Ablauf der Frist – ein, zwei bis ungefähr zehn Sekunden – wird zunächst der Hintergrund von weiß über rosa knallrot. Danach stehen zur Wahl 1. eine freundliche Erinnerung weiter zu schreiben, 2. schlimme Musik, die erst endet, wenn man weiter tippt, oder 3. die Kamikaze-Version, dass sich der Text von hinten nach vorne selbst wieder löscht. Das wirkt.

Im Selbsttest merke ich, wie ich hektisch werde. Bloß nicht zurückschauen, weiter tippen, was immer kommt! An sich, das bemerke ich später, muss ich nicht hektisch in die Tasten hauen, es reicht beständig am Schreiben dran zu bleiben. Sogar das automatische Löschen von Tippfehlern ist kein Problem, Hauptsache der Schreibfluss versiegt nicht.
Auch wenn ich ruhiger schreibe, beschleunigt sich mein Schreiben. Das Runterzählen der Zeit und Hochzählen der Wörter wirkt jenseits der Konsequenzen motivierend. Und vor allem unkonzentriertes Abschweifen der Gedanken, bei dem die Finger das Schreiben aufhören, oder Ablenkung – nachlesen, nachschlagen, E-Mails überprüfen, Tee kochen – wird vermieden. Write or Die gesteht mir eine Pause zu, während der die Zeitzählung stoppt, danach läuft es einfach weiter. So kann es helfen, kurze (10 – 15 Minuten), aber intensive Schreibeinheiten zu gestalten. Dann werde ich von dem Programm sogar belohnt: 319 Wörter in 10 Minuten. Ich bin stolz auf mich und habe Lust, gleich weiter zu schreiben.

 

Neue und alte Mailieder

Der Mai hat es in sich und der Ohrwurm „Der Mai ist gekommen“ hat offensichtlich schon mehr Leute zum Nachdichten animiert. Gestern habe ich meine – schon vor zwei Jahren entstandene – Version „Schöner Mai“ hier hochgeladen, heute blättere ich den deutschen Lyrikkalender 2012 auf das heutige Datum und finde „Neues Mailied. Zum Mitsingen“ von Max Herrmann-Neisse. Ein Glück, dass ich das Gedicht vorher noch nicht kannte, sonst wäre mir mein Dichtversuch vielleicht langweilig oder stümperhaft vorgekommen.

Das neue Mailied von Herrmann-Neisse (1886 – 1941) beginnt mit den Worten „Der Mai ist zum Kotzen“. Nicht nur für mich ist also auch im Wonnemonat nicht alles nur grün. Wer genug hat von knospendem Aufbruch, süßen Düften, lieblichen Winden und Co. kann das Gedicht im Lyrikkalender oder im großen Lesebuch zum Frühling in der Reihe Fischer Klassik nachlesen.

Öffentlich schreiben

Durch die Weiten des WWW und dann doch wieder vor Ort gelandet: Von Link zu Link bin ich auf dem Blog von Christine Finke gelandet, die unter dem Motto Mama arbeitet „aus dem Leben einer berufstätigen Alleinerziehenden“ berichtet. Obwohl Konstanz ein Dorf ist, glaube ich, wir kennen uns (noch) nicht. Beim Stöbern fallen mir einige Artikel auf, deren Themen mich interessieren, so dass ich sicherlich nun regelmäßig vorbeischauen werde.

Ihr aktueller Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, wie öffentlich darf ein privater Blog sein. Eine Frage, die auch mich immer wieder beschäftigt, obwohl mein Blog hier, der sich rund um mein und das Schreiben an sich dreht, wenig privat ist im Vergleich zu dem einer bloggenden Mutter. Trotzdem: Wie stelle ich mich dar, wie zeige ich mich in dem, was ich schreibe? Und wem? Während ich im übrigen Leben genau differenziere, welche Person welche Texte von mir zu lesen bekommt, habe ich das hier nicht unter Kontrolle. Besser gesagt: Alle sehen dasselbe von mir. Möglicherweise ziehen sie unterschiedliche Schlüsse daraus. Interessant ist, dass ich gegenüber mir völlig Fremden viel weniger Skrupel habe als gegenüber entfernten Bekannten – Nachbarn, Briefträger, Großcousinen, SportlehrerInnen und Co wissen möglicherweise mehr von mir, als ich ahne.

Christine Finke schreibt, sie sei „Überzeugungstäterin: ich schreibe, um mich auszudrücken.“ Damit hat es etwas zu tun, wenn ich es trotzdem tue. Ausdrücken erinnert an pickelige Pubertät: Es muss etwas raus, auch wenn es vielleicht nicht klug ist. Wer wurde nicht vor bleibenden Narben gewarnt und hat weiter gedrückt? Geheimes Tagebuch zu schreiben ist noch einmal etwas anderes, es geht auch um Öffentlichkeit, vielleicht um Öffnung, darum sich mitzuteilen und gelesen zu werden. Wahrscheinlich kommt eine Portion Sendungsbewusstsein dazu, der Glaube, das was einen selbst beschäftigt, könnte auch für andere interessant sein. Zumindest erklärt dies das zufriedene Gefühl bei Zuschriften a la „Deinen Blog zu lesen ist sehr anregend“.

Als ganze Person zu schreiben, sich zu zeigen und damit vielleicht auch verletzlich zu machen, ist wohl authentisch. Das tut gut und ist darüberhinaus gefragt. Mehr Mut, das was ich denke auch aufzuschreiben und unter meinem Namen öffentlich zu machen, habe ich bekommen, als ich letzte Woche bei der Lesung von Wladimir Kaminer im Konstanzer Stadttheater war. Also blogge ich weiter, als Schreibende, als Frau, als Mutter – Sie werden sehen.

Das Schreiben der Anderen

Vom Potential des (kreativen) Schreibens bin ich überzeugt: Eine große Kraft liegt darin, vielfältige Entwicklungsmöglichkeiten. Beeindruckende, starke und stärkende Texte entstehen. Wo sonst kann man sich so unkompliziert und einfach ausdrücken, was sonst ist quasi überall und mit minimalem Einsatz möglich? Schreiben ist billig, ein Stückchen Papier und ein Bleistiftstummel finden sich überall. Schreiben verlangt kaum Vorkenntnisse, wer Buchstaben malen und Laute differenzieren kann, kann Wörter auf ein Papier bringen, also kreativ schreiben, wenn auch nicht alle von SchulanfängerInnen so geschriebenen Texte von anderen Personen auch vollständig gelesen werden können. Somit ist Schreiben für mich die demokratischste unter den Künsten.

Seit längerem beschäftigt mich die Idee, gerade mit den Menschen kreativ zu schreiben, an die man dabei nicht als erstes denkt. Ich möchte diejenigen die Ausdruckskraft von eigenen Texten erleben lassen, die von sich aus nicht sagen, dass sie schreiben wollen. Also überlege ich mir, wie Schreibwerkstätten für Deutschlernende, für Grundschulkinder, Menschen mit geistiger Behinderung oder funktionalem Analphabetismus ablaufen können, wie man mit Menschen mit Demenz, jugendlichen MigrantInnen oder Menschen, die sich so sehr sozial engagieren, dass für sie selbst nur wenig Raum bleibt, kreativ und/oder biografisch schreiben kann. Ich bin an der Stelle missionarisch veranlagt: Es muss nicht jedeR schreiben, aber ich möchte zeigen, wie toll es ist, und hoffe, damit zu überzeugen.

Drei Räume, wo Menschen schreiben, denen es kaum zugetraut wird:

Der Ohrenkuss ist ein Magazin, das Menschen mit Down-Syndrom machen. Es erscheint seit 1998 zweimal im Jahr, jeweils zu einem bestimmten Thema. Alle Beiträge werden so abgedruckt, wie sie von den AutorInnen eingereicht werden. Die Ausgabe No 19 vom Oktober 2007 handelte vom Schreiben. Michaela König schrieb hier: „Das tat mir richtig gut das ich alles niederschreiben konnte, ich fühlte mich freier. Ich fühlte mich einfach richtig gut, als ich mit dem schreiben anfing.“ Dazu sieht der Ohrenkuss im A4-Querformat und mit sprechenden Fotos richtig gut aus.

Ein ähnliches Anliegen verfolgt der Verein Die Wortfinder. Die Selbstbeschreibung lautet: „Kreatives Schreiben & Literatur von besonderen Menschen und Menschen in besonderen Lebenslagen“, es geht darum, kreatives Schreiben bei Menschen mit „geistigen und/oder psychischen Beeinträchtigungen“ auf verschiedene Weise zu fördern. Letztes Jahr gab es einen ersten Literaturwettbewerb des Vereins zum Thema Die Zeit und der Kalender, der dabei entstandene Wochenkalender mit den Siegertexten ist mittlerweile vergriffen.

Das Pendant in Österreich dazu ist der Ohrenschmaus. Dieser Literaturpreis „soll helfen, neue Schriftsteller-Talente zu entdecken, dort wo man sie am Wenigsten erwartet“, nämlich unter Menschen mit Lernschwierigkeiten. Die Siegertexte, z.B. Ascheimer von Reinhard Schmidt in der Kategorie Prosa, zeigen, dass die Latte nicht zu hoch gelegt ist.

Es ist also nicht nur möglich, das Schreiben „der Anderen“, es lohnt sich, für die Lesenden und die Schreibenden, es entstehen spannende, unterhaltende, anregende, lustige, …, lesenswerte Texte. Ich bleibe dran.

Gehäkelt warme Ohren und viel Liebe

Kein selbst geschriebener Text, trotzdem faszinierende Handarbeit. Erst vor ein paar Tagen habe ich meine Häkelkenntnisse aus der Grundschule ausgepackt – wie war das noch einmal mit den festen Maschen, den Stäbchen und den Topflappen? – nun entdecke ich ganz zufällig, zu spät für Weihnachten, aber passend für windige Tage: alte Liebe

Das Konzept: Zwei junge Designerinnen entwerfen coole Surfer-Mützen – Grundprinzip Klorollenhaube, aber viel schicker – und lassen sie von Seniorinnen häkeln. Die Häklerin schreibt ihren Namen auf eine Karte, die zusammen mit der Mütze an die Käuferin/ den Käufer geht. Wer will, kann einen Postkartengruß an die Dame schicken, die das Unikat produziert hat. Mit dem dabei eingenommenen Geld wird gemeinsam etwas unternommen, z.B. Konzerte oder Ausflüge.
Die Mützen werden in Kassel und online vertrieben, aber auch über Surfshops in Frankreich und auf Lanzarote. Da frage ich mich, ob nicht auch SeglerInnen auf dem Bodensee manchmal kalte Ohren bekommen. Der Maske beraubte Närrinnen und Narren an Aschermittwoch auf alle Fälle.

Die Fotos sehen aus, als ob die alten Damen viel Spaß beim gemeinsamen Häkeln haben, die Mützen sehen toll aus. Da bekomme ich richtig Lust auf Kopfbedeckung – vielleicht auch darauf, mal Topflappen in trendigen Farben zu häkeln.