Der Bodensee schreibt besser

Heute in zwei Wochen ist es so weit: 16 + X Schreibberaterinnen, -trainer, -lehrer und -werkstättenleiterinnen treffen sich und tauschen sich über ihre Arbeit und wie sie sie noch besser machen können aus. Karin Schwind und ich freuen uns sehr auf die erste Tagung des Internationalen Bodensee-Arbeitskreises für Schreibtraining und Schreibberatung am 25.11. in Konstanz.

Unsere eigenen Ideen ergeben zusammen mit all den Wünschen und Anregungen, die die TeilnehmerInnen uns mitgeteilt haben, ein buntes Programm. Wir haben vor, uns auf verschiedenen Ebenen kennenzulernen, damit wir wissen, mit wem wir uns vernetzen, uns fachlich auszutauschen und gemeinsame Aktivitäten miteinander zu planen. Und wir sind jetzt schon sicher, dass dieses Treffen der Anfang von fruchtbarer Zusammenarbeit sein wird.

Wer nun neugierig geworden ist und auch andere Menschen beim Schreiben anleitet und unterstützt, kann sich noch immer bei mir melden – auch kurzfristig finden wir noch ein Plätzchen für engagierte KollegInnen.

Stilfragen – ein alter Hut

Nach allen möglichen Stil- und Schreibratgebern habe ich mir nun einmal die Stilfibel von Ludwig Reiners vorgenommen, die 1951 erschienen ist. Der Untertitel „Der sichere Weg zum guten Deutsch“ klingt so antiquiert wie das Buch alt ist, auch Tonfall und Beispiele sind nicht mehr zeitgemäß. Umso erstaunter war ich, was den Inhalt angeht: Seit 60 Jahren ist bekannt, was heute noch oft missachtet wird.

Reiners baut sein Buch didaktisch auf: zuerst ein wenig Grammatik, um die Grundbegriffe zu klären, dann 20 Verbote, 20 Regeln und schließlich 20 Ratschläge. Die Idee ist, dass sich die Verbote am leichtesten umsetzen lassen, wie z.B. „Zerreißen Sie nicht die zusammengesetzten Verben!“. Dadurch wird das Stilempfinden schon vergrößert. Nachdem man auch die 20 Regeln durchgearbeitet hat (z.B. „Wider die Hauptwörterei“ oder „Baut kurze Sätze“), ist man bereit für die dritte Stufe der Ratschläge, die „vom guten zum wirkungsvollen Stil“ führen sollen. Und damit alles ganz klar wird, wird jede Lektion mit Fragen und Übungsaufgaben abgeschlossen.

Auch wenn es ein alter Hut ist, so lange Substantivierungen, Floskeln und Schachtelsätze geschrieben werden, lässt sich aus diesem Buch noch etwas lernen. Ich war jedenfalls sehr verblüfft, dass die heutigen Stilratgeber nur aktuellere Beispiele hernehmen müssen.

60 Sekunden schreiben

Keine Zeit zum Schreiben? Eine Minute ist immer übrig. Und die kann bei oneword genutzt werden:

Auf den Startknopf drücken, das eine Wort des Tages sehen und genau 60 Sekunden direkt in das geöffnete Fenster tippen! Da unten die Zeit sichtbar läuft, werde zumindest ich zur Freewriterin wie aus dem Bilderbuch. Und wenn die Zeit um ist, kann etwas gemogelt werden: noch das ein oder andere Wort ergänzen, die größten Tippfehler ausbessern.

233 Zeichen habe ich geschafft – ohne Mogeln. Vielleicht lässt sich daraus auch ein Wettkampf mit sich selbst machen, wie weit sich die Zeichenzahl in einer Minute steigern lässt.

 

Vorbereitet gut überarbeiten

Der Erfolgsautor Andreas Eschbach hat eine Homepage, die eine Fülle von Informationen für alle die bereit hält, die belletristisch schreiben (wollen). Von den „Mythen übers Schreiben“, die er demontiert, bis zur „Trostliste“ (= Autoren, die erst nach hartnäckiger Verlagssuche Erfolg hatten) lohnt es sich darin zu stöbern.

Besonders spannend finde ich seine 10-Punkte-Text-Überarbeitungs-Vorbereitung. Dies ist eine Methode, mit der Geschichten den stilistisch-sprachlichen Schliff bekommen, den sie brauchen. Die Vorbereitung besteht darin, zuerst zehn verschiedenartige Markierungen anzubringen, um „mögliche Schwachstellen“ zu entdecken, bevor dann im zweiten Schritt tatsächlich überarbeitet wird.
Die 10 Punkte – z.B. Füllwörter, Adjektive, Passiv – stehen in jedem Stilratgeber. Das besondere an Eschbachs Methode ist, dass der Text ganz systematisch Punkt für Punkt durchgegangen wird und man eben erst im zweiten Schritt entscheidet, was man verändern will. Das schärft die Augen, zeigt deutlicher als bei sonstigem Überarbeiten Verbesserungsmöglichkeiten auf und gibt mir so viel Distanz zum Text, dass ich wirklich überarbeiten kann.

Die 10-Punkte-Text-ÜV ist auf belletristische Texte ausgelegt. Sie lässt sich aber mit kleineren Anpassungen ebenso für Sachtexte anwenden.

Schreibt!-Raum 4: Frederick-Listen

Nach dem sonnig-warmen Wochenende ist es wieder nass, kalt und dunkel hier am Bodensee. Nun ist die Zeit des Erntens und Einweckens vorbei, es geht darum sich winterfest einzumümmeln.
Hier kommt Frederick ins Spiel, der vermeintlich faule Feldmäuserich von Leo Lionni, der statt Nüssen und Körnern lieber Sonnenstrahlen, Farben und Wörter sammelt und damit auf seine Weise zum Überleben der Mäuse im Winter beiträgt. Um mit dem Sammeln zu beginnen, ist es schon zu spät im Jahr. Aber bestimmt hat sich ganz von allein ein großer Haufen Vorräte angesammelt. Es lohnt sich, diese zu sichten, zu ordnen und so einzulagern, dass sie bei Bedarf auch gefunden werden. Deshalb schlage ich vor, „Frederick-Listen“ zu schreiben:

Liste 1: Meine Sonnenstrahlen für den Winter
Welchen Menschen bin ich begegnet, welche Momente von Verbundenheit habe ich erlebt, die es mir warm und hell machen, wenn ich mich daran erinnere?

Liste 2: Meine Farben für den Winter
Welche Bilder, welche Muster und Farbkleckse habe ich mit meiner Kopf-Kamera aufgenommen, die mein Leben bunt und reich machen, wenn ich sie mir ansehe?

Liste 3: Meine Wörter für den Winter
Welche Geschichten habe ich erlebt oder gehört, welche Episoden und Anekdoten, die mein Leben spannend und interessant machen, wenn ich sie erzähle?

Damit der Ansporn nach ganz kleinen Erlebnissen Ausschau zu halten groß genug ist und damit die Vorräte für 3 lange Wintermonate reichen, darf jede Liste 30 Punkte enthalten – das sind gleichzeitig 90 Ideen für Texte, Gedichte und Geschichten, die an den langen Winterabenden geschrieben werden können. Und wenn Sie den einen oder anderen Vorrat mit anderen teilen, sagt irgendwer im Frühjahr zu Ihnen: „Frederick*, Du bist ja ein Dichter!“ – und Sie wissen, wie Sie darauf antworten müssen.

*eigenen Namen einsetzen

Sonntags-Gedicht: Flarf

Von christof habe ich diese Woche schon gelernt, was ein flarf ist. Oder eine flarf oder ganz ohne Artikel? Egal. Das heutige, wieder einmal verspätete Sonntags-Gedicht sind zwei Flarf-Versuche aus demselben Wörterpool, der google-Suche zu herbst und poesie:

Herbstpoesie 1

Düstere Stimmungen
durchfluten meine Seele
Nebelfrauen vergruben sie im Garten,
Kinder üben Gedankenstürme
und Spinnenfäden in allen Kategorien
Regenschauer im Zoopark Düsseldorf
Gemütlichkeitsfaktor: Gräber schweigen nicht

 

Herbstpoesie 2

Die Allgäuer Wirtschaft hat das
Wohl ihrer nettesten Schauspieler
ausverkauft nur 2 Farben lieferbar
schmuckvolle dekorative Elemente
in vielen Nuancen Schönheit intensiver

Geschüttelt statt gerührt

Gestern hat mich völlig unerwartet um 14:23 ein Magen-Darm-Infekt erwischt und einmal komplett durchgeschüttelt. Und weil ich heute immer noch nicht ganz geradeaus gehen kann, ist der richtige Tag für Schüttelreime.

Schüttelreime sind doppelte Reime, bei denen die Anfangskonsonanten der Reimwörter vertauscht sind. Diese wahrscheinlich korrekte Definition wird durch Beispiele klar: Denkspiel – Schenkdeal, Rüsselschwein – Schüssel rein oder Messer fein – Fresser mein
Damit das ganze ein Gedicht wird, werden zwei Zeilen dazu gemacht. Dabei darf der Schüttelreim ruhig nicht ganz sauber sein – wie bei den Beispielen oben. Das wichtigste bei diesen Gedichten ist, dass sie komisch, absurd oder überraschend sind – ich muss gerade an Heinz Ehrhardt denken, wenn ich das schreibe, von dem ich aber nichts geschütteltes kenne.

Damit ein Schüttelreim-Gedicht entsteht, gehe ich so vor:
1. suche ich mir zwei Wörter, die sich reimen: Sorgen – Morgen
2. brauche ich noch zwei Wörter, die sich reimen und mit den gleichen Buchstaben beginnen: sein – mein
3. müssen nur noch zwei Verse damit geschrieben werden:
Wie fürchterlich die Sorgen mein –
lasst es endlich morgen sein!

Nun gut, dieser Schüttelreim ist nicht sonderlich überraschend oder komisch. Doch das Prinzip ist klar. Und nun viel Spaß beim Schütteln.