Schreibt!-Raum 5: Gedicht zum Gedicht

Die Gedichte in mir unbekannten Sprachen, sogar mit für mich unlesbaren Schriftzeichen, die bei lyrikline zu finden sind, sollen als Schreibanregung dienen, um eigene Gedichte oder Prosatexte zu schreiben. Ich mache es so:

Ich klicke auf die Startseite von lyrikline.org und wähle aus der Liste der neusten Stimmen eine aus, die mich spontan anspricht. Heute ist dies Branko Cvetkoski, der ganz oben steht und auf mazedonisch schreibt. Ich sehe kyrillische Schriftzeichen und wähle das zweite Gedicht aus: ГЛАСНИК – es sieht schön aus, finde ich, und ich habe keine Ahnung, wie es sich anhört oder was es bedeutet.

Nun kann ich mir mehrmals hintereinander das Gedicht anhören, ohne dass ich die deutsche Übersetzung anschaue. Ich schließe die Augen und lasse Bilder entstehen, Bilder, die über ein Cluster oder eine Kritzelzeichung oder einfach so zu einem Text werden.

Bei meinem ausgewählten Gedicht ГЛАСНИК sehe ich eine weite Steppenlandschaft vor mir, einen Mann mit einem Mantel, einsam, aber nicht verbittert, vielleicht reitet er … Der Text, der zu diesem Klang passt, ist kein Gedicht mit Strophen oder kurzen Versen. Es ist ein lyrischer Prosatext oder ein Gedicht, das durchläuft, wo Wort auf Wort folgt, nur einzelne Akzente werden durch Satzzeichen gesetzt.

Jeder andere hört wahrscheinlich ein ganz anderes Gedicht als ich. Spannend stelle ich mir vor, zusammen mit anderen zum gleichen fremden Gedicht zu schreiben und zu vergleichen, wohin es die einzelnen Personen getragen hat. Oder das Schreiben kann beendet werden, indem dann doch noch die deutsche Übersetzung gelesen wird.

Persönliche Gedichtlesung

Dass ich es mit Gedichten habe, ist hier schon mehrfach deutlich geworden. Wer Gedichte nicht nur lesen, sondern auch hören möchte, ist bei lyrikline.org hervorragend aufgehoben.

Das mit dem Grimme Online Award ausgezeichnete Projekt lässt fast 800 Dichter in 56 Sprachen zu Wort kommen, von A wie Africaans bis Wayuunaiki, dazu kommt Sound poetry wie beispielsweise „tongueTrum“ der israelischen Autorin Anat Pick. Außerdem liegen viele Gedichte in Übersetzungen vor: Höre ich z.B. ein arabisches Gedicht der Autorin Sabah Zouein aus dem Libanon, sehe ich die für mich unlesbaren Buchstaben. In einem neuen Fenster lässt sich dazu eine deutsche Übersetzung öffen, so dass ich zum Klang des Gedichts und der Stimme der Autorin noch Inhalt bekomme.

Es ist viel von der eigenen Stimme zu lesen, wenn es um das Schreiben geht, und hier werden diese Stimmen erlebbar. Gerade bei Gedichten finde ich das wichtig, denn Klang und Rhythmus und Melodie sind zentrale Elemente. Sicher lässt sich zu manchem Gedicht über das Ohr eher Zugang finden als über das Auge, vielleicht auch ein anderer Zugang.
Da bei lyrikline.org die ganze Welt der Gedichte präsentiert wird, kann ich leicht beim Stöbern und Horchen vergessen, dass ich selbst was schreiben wollte.

Natürlich hat so ein Projekt zu wenig Geld – Damit ich weiterhin Gedichte in Farsi, Oriya und Rätoromanisch sehen, hören und verstehen kann, werde ich dem leisen Spendenaufruf im Jahresendzeit-Spende-bitte-Gebrüll wohl folgen.

Sonntags-Gedicht: Universitätsbetrachtungen

Das Sauerkraut in
der Nase wird von Kreide
weggekitzelt

Grüner Teppich
elektrisiert das Hirnen
der Mathematik

Styroporsee weiß
vor herbstbraunen Bäumen
Ein Betonmischer schreit

Staining solutions
riechen nach Kaffeeklatsch
E-Coli im Flur

Nebenbemerkung: Das sind die Betrachtungen der Universität in Haiku-Form gebracht und mit der Frage versehen, ob das der Anfang eines Imagegedichts der Uni ist.

Nebenbemerkung 2: Ich weiß, dass heute nicht Sonntag ist, aber wer weiß, ob mir Sonntag ein Gedicht einfällt.

Buntes Leben in Konstanz

Es passt zum regenbogenbunten Motto des heutigen Tages: Nachdem ich auf farbigen Papierbögen erstens vier Kurz-Betrachtungen der Universität, zweitens eine apokalyptisch-sinnliche Kurzgeschichte ohne Titel und drittens ein Haiku mit Busfahrplan geschrieben habe, habe ich nun etwas entdeckt, das auch den Blog bunter machen kann: Ein Imagefilm der Stadt Konstanz.

Kurz habe ich überlegt, ob ich wirklich Werbung für diese Stadt machen will, in der sowieso schon ständig so viele Leute unterwegs sind, dass ich sogar zur Bezahlung einer Tube Zahnpasta in der Schlange stehen muss. Aber die vielen sonnigen Bilder, die schmucken bunten Häuser, Leute in T-Shirts und Badekleidung am See zu sehen tut gut nach einem weiteren Tag ohne Sonnenstrahlen, an einem Abend, an dem der erste Nachtfrost zu erwarten ist. Vielleicht regt es mich sogar an, mein eigenes Image-Gedicht für diese Stadt zu schreiben, mit dem ich mir die bunten und anregenden Seiten meiner Heimat an grauen Novembertagen selbst vor meinen inneren Filmprojektor holen kann.

TIK Imagefilm (deutsch) from Werbeagentur Lorth Gessler Mittelstaedt on Vimeo.

Leiden Sie unter Hochnebel?

Dann entscheiden Sie sich doch für ein Leben im Land des Regenbogens. Christof schlägt dies heute in seinem Entscheidungshilfe-Blog vor, der jeden Tag die Möglichkeit bietet, „eine wenig pepp ins leben“ zu bringen.

Geschirr nach Farben sortieren hört sich für mich jedoch zu sehr nach Aufräumen an. Ich entscheide mich jetzt, Papier in den Farben des Regenbogens voll zu schreiben und meine Welt durch Geschichten und Gedichte bunter zu machen. Hochnebel dazu gibt es heute am See mehr als genug.

Sonntags-Gedicht: Heikes November-Sonntag

Politische Sonntagsmatinee am Ewigkeitssonntag

Es war eigentlich der Albtraum beide Garnelen
gaben sich nicht kampflos geschlagen es handelt
sich schließlich um Neocaridina zhanghjiajiensis
in einem Ladengeschäft in Wilster hagelt es harte
Kritik feiern wir das Lachen mit Echo-Effekten ver
lost vier tolle Preise am Totensonntag stand sie
noch in der Fotoabteilung mit BluePeral und White
Peral genehmigen wir uns eine Pizza im Anschluss
und klopfen gegen Arbeitsfrust Photowalks Solo-
Show wie ich einmal versuchte reich zu werden
zwischen Frühstücksbrunch und Abendmahl am
Lesenachmittag Neuverfilmung 100 Jahre Hockey
Club Biotechnologin im Einzelhandel wenn Tiere
schlafen gehen ein deutsches Requiem Ruhetag

Es macht keinen Sinn …

… will ich ganz oft sagen oder schreiben. Dann fällt mir ein, dass es im Deutschen so falsch ist und ich suche krampfhaft nach der richtigen, der nicht aus dem Englischen übernommenen Formulierung. Oder ist es gar nicht falsch, nur Bastian Sicks empfindliches Ohr wird durch diese Formulierung beleidigt?

Um die Frage endlich einmal zu klären, suche ich in den Weiten des Internets nach „Sinn machen“ – Es wird kontrovers diskutiert: Die einen sagen, es macht einfach keinen Sinn „Sinn machen“ zu schreiben, weil der ja nicht gemacht werden kann, sondern einfach da ist oder eben nicht und höchstens vergrößert werden kann. Die anderen verweisen auf Quellen aus dem 19. Jahrhundert, in denen diese Wendung auftaucht. Und die taz titelt am 22.9.11: „Gastarbeit kann Sinn machen“ – wobei ich hier nicht verstehe, was genau damit gemeint ist.

Die bisherigen Antworten stellen mich nicht zufrieden und ich befrage Herrn Duden. Zuerst fällt auf: Gebe ich „Sinn machen“ ein, erhalte ich zwei verschiedene Treffer, eben „Sinn“ und „machen“. Wenn ich aber bei „Sinn“ ganz nach unten gehe, taucht „machen“ bei typische Verbindungen zwar klein, aber immerhin auf. Und noch weiter unten steht, die Formulierung sei umgangssprachlich und bedeute Sinn ergeben, verständlich/ sinnvoll sein.

Sinn ergeben hört sich für mein Ohr zu gestelzt an, das sage ich nie und schreibe ich kaum. Schreibe ich Sinn machen, komme ich mir trotz allem wie ein Sprachbanause vor. Vielleicht macht es am meisten Sinn, sinnvoll sein zu schreiben.