Warum ist Tagebuchschreiben so schwierig?

Mein gestriger Beitrag mit der Idee eines Tagebucheintrags der ganz anderen Art brachte mich auf diese Frage. Eigentlich weiß ich, dass es mir gut tut: tägliches Schreiben nur für mich. Und doch mache ich es meist nicht.

Verschiedene Schreibweisen habe ich ausprobiert, die ich hier alle zusammenfasse. Tagebuch ist so gemeint, dass ich täglich oder einfach regelmäßig für mich schreibe, für meine persönliche Entwicklung. Nicht so sehr zum Festhalten, eher zum Gewahrwerden, um mich selber zu lesen und dadurch eine Richtung zu erhalten. Längere Zeit haben mich die Morgenseiten nach Julia Cameron begleitet, mehr oder weniger lang ein Tagebuch zum Ankreuzen (vom Knaur Verlag), die Entschlüsse jeden Tag ein Elfchen/ ein Haiku/ ein Akrostichon zu meinem Vornamen zu schreiben oder drei Dinge, für die ich heute dankbar bin zu notieren. Alle Versuche endeten unbemerkt wieder, obwohl jede dieser Arten täglich zu schreiben gut war, ein klassisches Tagebuch habe ich sowieso nur in kurzen Phasen jugendlicher Desorientierung geschrieben.

Jetzt könnte man meinen, dann ist es halt nicht so wichtig, vielleicht geht es mir einfach zu gut zum Tagebuchschreiben. Das ist ein Grund zu Zufriedenheit statt zum Grübeln. Trotzdem bleibt die Sehnsucht nach einem Ritual, nach Weiterschreiben auch in guten Lebensphasen. Die Erfahrung und die Vorstellung ist, dass Schreiben mein Leben intensiviert. Negatives zu schreiben zieht mich nicht runter, sondern lässt mich klar sehen und die anstehende Veränderung anpacken. Positives zu schreiben zentriert mich und macht mir mein Glück bewusster. Wenn ich dennoch nicht schreibe, ist dies ein Versuch, in Unverbindlichkeit und Mittelmaß stecken zu bleiben? Oder ist im Leben einfach zu wenig Zeit zum Schreiben?

Vielleicht braucht das Tagebuchschreiben zuerst ein Ritual. Ein Ritual, das den Rahmen vorgibt, aber die Suche nach der passenden Form ermöglicht. Ein Ritual, das zur Gewohnheit wird und doch an die aktuelle Situation angepasst werden kann. Neulich stand ich im Buchgeschäft vor einem Tagebuch-Kalender, in dem zehn Jahre Platz finden: 365 Seiten mit 10 Absätzen. Ich habe es mir nicht gekauft, weil ich nicht zwanzig Euro ausgeben wollte für ein Buch, das dann im Regal steht – neben vielen wunderschönen Notiz- und Schreibbüchern. Doch irgendwie bleibt der Reiz. Vielleicht könnte so ein Projekt das hilfreiche Ritual bieten, das dann in unterschiedlicher Form gefüllt wird.

Schreibt!-Raum 7: Mein Tag als wildes Tier

An manchen Adventstagen könnte man zum Tier werden: Wer wissen will, wie er dann aussieht, kann unter http://www.buildyourwildself.com/ den Zufall ein wildes Selbst kreieren lassen. Oder man wählt von A wie Arme bis Z wie Zunge allerlei tierische Komponenten aus, die einen gerade ansprechen, und baut daraus das maßgeschneiderte Wildtier. Meins sieht heute so aus:

Nun kommt der Schreibt!-Raum: Wenn man fertig kreiert hat, bekommt man Infos zu den einzelnen Bauteilen, z.B. dass die Kakerlakenfühler auch schmecken können. Diese Informationen sollten reichen, um sich ganz in das wilde Selbst einzufühlen. Dann ist es ein einfaches, sich den heutigen Tag vorzustellen, wie er verlaufen wäre, wenn man am Morgen so aus dem Bett gekrochen wäre. Ein Tagebucheintrag der besonderen Art entsteht.

Sonntags-Gedicht: Barbaratag

Barbara, ach Barbara
sag mir mit Deinem Zweig
Wer wird mein Mann im nächsten Jahr?
Wenn‘s keiner wird, dann schweig

Barbara, ach Barbara
zeig mir mit Deinen Knospen
Ob mein Glück im nächsten Jahr
Kann irgendjemand toppen

Barbara, ach Barbara
versinkst Du auch in Schnee
Zum Weihnachtsfest sind Blüten da
Im nächsten Jahr wächst Klee

Barbara, ach Barbara
weiß blüht‘s an Deinem Stiele
Bringst Du kein Glück, ja Pech sogar
Dein Anblick doch gefiele

Mit oder ohne „ICH“ – studentisches Schreiben

Wer akademisches Schreiben unterrichtet, kommt an der Frage Ich oder Nicht-Ich nicht vorbei. Manche ermuntern leidenschaftlich dazu, zumindest im Rohentwurf viele Ichs zu verwenden, beispielsweise Judith Wolfsberger in ihrem Buch „Frei geschrieben.“ (Wien u.a., 2009). Andere schreiben zwar, dass es kein generelles Ich-Verbot (mehr) gibt, verweisen aber auf verschiedene Möglichkeiten, das Ich zu umgehen wie Otto Kruse im Klassiker „Keine Angst vor dem leeren Blatt“ (Frankfurt/Main, 2007).

Studentisches Schreiben funktioniert anders als wissenschaftliches Schreiben. Studierende schreiben in der Regel für ihren Dozenten, der sie benotet, nicht als Teil der wissenschaftlichen Diskursgemeinschaft. Sie sind jung und gerade dabei, wissenschaftliches Arbeiten und Denken zu erlernen, zu üben und erste Erfahrungen darin zu sammeln. Klare Regeln, wie „Schreibe nicht ich, weil es um die Argumentation geht und nicht um dich“, geben Orientierung.
Andererseits verlieren viele Studierende an den Hochschulen schnell die Freude am Schreiben, weil sie sich, ihre Lebenswelt und ihre Gedanken nicht darin wiederfinden. Dozierende klagen über Texte, bei denen Zitate aneinandergereiht sind ohne kritische Beurteilung, ohne eigenständige Denkleistung – von Angst vor der eigenen Meinung ist die Rede.

Mit oder ohne Ich löst das Problem nicht. Studierende sollen und dürfen sich eigenständig mit Sachverhalten auseinandersetzen. Zum Nachdenken über und Ausloten eines Themas, zum Fragen stellen und um Antworten ringen kann es hilfreich sein, viel zu schreiben und viel Ich zu schreiben. Im nächsten Schritt geht es darum zu lernen, wissenschaftliche Texte zu formulieren, die Konventionen einzuhalten, die fachwissenschaftliche Sprache zu benutzen und passende Formulierungen auszuwählen. Das kann weder von allein noch von heute auf morgen passieren.

Eine spannende Diskussion der Ich-Frage habe ich im Blog Shitty First Drafts gefunden, der mich – ganz sujektiv – allein schon wegen des Titels anspricht und durch seine klare Argumentation überzeugt.

Von Typen und Tücken

Wissen Sie, wie Sie beim Schreiben vorgehen?
Bis ein Text reif zur Veröffentlichung ist, braucht es eine Menge Arbeitsschritte und ein gutes Projektmanagement. Hilfreich ist es, den eigenen Schreibtyp mit seinen Stärken und Schwächen zu kennen, um typengerecht erfolgreich zu schreiben. Oder aber sich vom Vorgehen anderer etwas abzuschauen, wenn es mal nicht so läuft.
Drei Fragen helfen, dem eigenen Schreibtyp auf die Sprünge zu kommen:

1. Planen Sie Ihren Text oder entdecken Sie ihn beim Schreiben?
Planer leisten die meiste Arbeit, bevor sie mit dem eigentlichen Schreiben beginnen: sie überlegen, sortieren, strukturieren, gliedern, wägen ab. Wenn der Plan – auf dem Papier oder im Kopf – steht, können sie schnell voranschreiben, da sie sich ganz aufs Formulieren konzentrieren können, und sie laufen nicht Gefahr, sich auf dem Weg bis zum Schlusspunkt zu verirren. So lange man sich mit dem Planen nicht nur vor dem Schreiben drückt, ist dieses Vorgehen besonders unter Zeitdruck ideal.
Die Entdecker dagegen schreiben einfach los. Sie lassen sich von ihren Gedanken und Ideen treiben und finden so nach und nach zur Kernidee und der Struktur des Textes. Hier gehören Umwege und Sackgassen mit zum Programm und ermöglichen neue Ideen. Auch bei sehr komplexen Themen entsteht schon früh im Schreibprozess ein erster Text und damit ein gutes Gefühl. Es muss nur aufgepasst werden, dass beim Entdecken nicht das Ziel aus den Augen verloren wird oder die Zeit ausgeht.

2. Schreiben Sie von vorne nach hinten oder basteln Sie Ihren Text aus Einzelteilen zusammen?
Manche Menschen gehen beim Schreiben sehr systematisch vor: Sie haben den Plan parat und arbeiten sich Stück für Stück durch den Text. Das hat den Vorteil, dass der Text genau so entsteht, wie er später auch gelesen wird, von vorne nach hinten. Dadurch kann es nicht passieren, dass Informationen vorausgesetzt werden, zu denen bereits geschrieben wurde, die aber im fertigen Text weiter hinten stehen. Der rote Faden wird Stück für Stück gesponnen.
Das andere Extrem, das erst durch den Einsatz von Textverarbeitungsprogrammen zur lohnenden Strategie wurde, ist das Zusammenbasteln von Einzelteilen. Der Bastler schreibt immer gerade an dem Abschnitt, der ihm präsent ist oder am leichtesten fällt. Die entstandenen Stücke können so lange verschoben, aneinandergebaut und ergänzt werden, bis der Gesamttext rund ist. Möglicherweise wird so allerdings manches doppelt geschrieben oder Wesentliches nicht bis zum Ende gedacht.

3. Überarbeiten Sie intensiv oder formulieren Sie von Anfang an perfekt?
Ich gehe davon aus, dass kein guter Text ohne Überarbeitung entsteht und dass es Zeit spart, wenn ich von Anfang an Zeit zum Überarbeiten einplane, weil ich so schneller und flüssiger schreiben kann. Aber vielleicht belehrt mich auch hier jemand eines Besseren. Sicher ist: Es gibt ein weites Feld zwischen gar nicht und exzessiv überarbeiten, zwischen während des Schreibens gleich verbessern und den fertigen Rohtext nach einer Ruhephase als Ganzes überarbeiten.
Zum Überarbeiten gibt es so viele Ideen und Hinweise, dass ich dazu einen eigenen Tipp schreiben will. Hier nur noch die Erinnerung: Rechnen Sie die Zeit, die Sie bei Ihrer Arbeitsweise zum Überarbeiten brauchen, bei Ihrer Schreibprojektplanung mit ein.

Vielleicht erkennen Sie sich im einen oder anderen Vorgehen beim Schreiben klar wieder oder Sie haben je nach Text und Situation andere Arbeitsweisen. Egal welche Schreibweise zu Ihnen passt, erkunden Sie, wie Sie und Ihre Texte davon profitieren und welche Tücken dabei lauern. So sind Sie gut gerüstet für den nächsten Schreibauftrag.

 

European Association of Creative Writing Programms

Bereits länger ist mir bekannt, dass es eine European Association for the Teaching of Academic Writing gibt. Dabei geht es darum, das diejenigen sich vernetzen, austauschen und fortbilden, die akademisches Schreiben unterrichten. Nun sehe ich: Etwas ähnliches gibt es auch für den Bereich des Kreativen Schreibens.

Noch habe ich nicht genau herausgefunden, wie groß und wie rege die EACWP ist; auch ist mir unklar, ob sich in dieser Vereinigung im Wesentlichen Institutionen finden, oder auch Einzelpersonen, die als Lehrer für Kreatives Schreiben ausgebildet sind und arbeiten. Das Kreative Schreiben mit seinen vielfältigen Chancen und Möglichkeiten ist es aber wert, weiter professionalisiert und verbreitet zu werden, finde ich. Deshalb will ich die EACWP im Auge behalten. Wer Kontakte dahin oder Informationen dazu hat: Ich bin interessiert.

Schreiben darf man lernen

Es wird viel gejammert über fehlende Schreibkompetenz. Wenn ich erzähle, dass ich Menschen im Schreiben trainiere, klagt schnell jemand, dass er letztens wieder so einen fürchterlichen Behördenbrief oder eine unverständliche Gebrauchsanweisung vor sich hatte. Und im Zusammenhang mit Pisa und Schulbildung sind Klagen über junge Menschen, die nicht schreiben können, häufig.
Das Nicht-Schreiben-Können betrifft dabei, seltsamerweise, oft andere – die sollten das lernen, nicht ich. Und es ist eine Zustandsbeschreibung: Es gibt wenig Schreibkompetenz. Doch woher kann und soll Schreibkompetenz kommen?

Ich gehe davon aus, dass Schreiben gelernt werden kann – sonst hätte ich schließlich meinen Beruf verfehlt – und dass Schreiben auch gelernt werden darf. Viele von uns schlagen sich irgendwie durch, bekommen die Texte, die geschrieben werden müssen, mehr oder weniger gut hin. Die allerwenigsten Menschen, abgesehen vielleicht von Berufsschreibern wie z.B. Journalisten, haben aber richtig gelernt zu schreiben. Sicherlich, in der Schule wurde ihnen beigebracht, die Buchstaben korrekt zu malen, die Rechtschreibung und Zeichensetzung  zu beherrschen, im Idealfall. Später wurden Aufsätze und Erörterungen geschrieben und benotet. Schreiben ist aber weit mehr, ist Kommunikation und Ausdruck, Stil und Form, Projektmanagement und Textwissen.

Schreiben lernen heißt für mich, den Überblick über den komplizierten und anstrengenden Schreibprozess zu haben, zu wissen, was man tut, was man tun will und wie man es tut und noch tun kann. Schreiben lernen heißt auch, die Probleme, Schwierigkeiten und Fehler, die auftreten können, zu kennen und damit umgehen zu können. Dafür dass Schreiben in diesem Sinn nach wie vor (in Deutschland) kaum gelehrt wird, schlagen sich viele Menschen erstaunlich erfolgreich damit durch. Fairer wäre es, wenn mehr systematische Lern- und Übungsmöglichkeiten geschaffen würden, wenn jedem Einzelnen klar wäre, dass Schreiben gelernt werden kann und darf. Dann müsste niemand mehr seine Schwierigkeiten beim und mit dem Schreiben als persönliches Versagen und individuelle Unfähigkeit ansehen. Dann könnten diejenigen, die sich bisher einigermaßen gut durchschlagen, bewusst, gezielt, professionell schreiben. Und sinnvoller als Jammern wäre es allemal.