Gedicht zu Bild: Missing

Bilder als Impuls für Gedichte, damit habe ich immer wieder experimentiert. Gerade beschäftigen mich die Bilder von Stefanie Rösch.

Ein erstes Ergebnis: Missing

Missing, 2001 - Acryl auf Papier von Stefanie Rösch

 

Missing

Leidenschaftlicher Nebel verbirgt

die blauen Berge türmen sich

auf bilden Panoramapostkarten

dem Blick der schweift. Kein

Blümlein auf dem Felde keine

Biene summt ein Gewitter der

einstürzenden Gedankenwelt

 

 

Klöppeln, malen, reimen – das Kreative Schreiben

Kreatives Schreiben hat ja manchmal den Ruf, ein Kaffeeklatschtreffen für frustrierte oder gelangweilte Hausfrauen zu sein, ein Volkshochschulkurs neben Klöppeln für Fortgeschrittene, Italienisch für die Reise oder Bauernmalerei leicht gemacht. Ja, so ist Kreatives Schreiben. Es ist ein wundervolles Hobby, das von mehr Frauen als Männern ausgeübt wird, es ist geselliges Zusammensein, Spiel, Kreativität und Phantasie. Es kann lustiges Reihumreimen sein, Wörter aus Zeitschriften ausschneiden und zusammenkleben oder aus vorgegebenen Stichwörtern absurde Geschichten basteln. Oft findet es in der Gruppe statt, Schreibwerkstatt genannt. Kreatives Schreiben hat viel mit Freude am Tun zu tun, heißt Schreibprozesse anstoßen, laufen lassen und sich vom Ergebnis überraschen lassen. Das ist gut.

Aber Kreatives Schreiben ist gleichzeitig noch viel mehr, kann mehr sein, wenn Schreib-werkstätten von Menschen geleitet werden, die wissen, was sie tun und warum, wenn diejenigen, die kreativ schreiben, eben mehr wollen als nett  mit Gleichgesinnten beisammen sein(was allein jedoch durchaus seinen Wert hat). Was alles Kreatives Schreiben ist und sein kann, sehe ich zur Zeit besonders deutlich, wenn ich die Textmappen und dazugehörenden Reflexionen der Studierenden lese, die im vergangenen Semester an meinem Kurs an der Uni Konstanz teilgenommen haben. Teils in deren Worten (als anonymisierte Zitate), teils in meinen Worten ist Kreatives Schreiben:

  • Ein Experiment mit Worten, mit Sprache und mit Texten. Das unterschiedliche Herangehen an die Texte kann als Teil des Experiments angesehen werden.
  • Langsam entstehen tintenblaue Worte vor mir auf dem Papier, als würden stumme Töne die weiße Stille verdrängen.
  • Die Motivation für die Texte rührt aus den verschiedensten Winkeln der Seele.
  • Puzzelt man verschiedene Erfahrungsschnipsel zusammen, wird daraus etwas aufregend Neues.
  • Es tut mehr als gut, mal beim Schreiben nicht gezwungen nachdenken zu müssen.
  • Bei kaum einer anderen Tätigkeit macht man sich über so viele (sinnlose?) Sachen ernsthaft Gedanken.
  • Das Schreiben zeigt mir selbst immer in gewisser Weise einen Teil meiner Seele und meiner Ängste, wie ich sie ohne das Schreiben nicht erkennen würde.
  • Und ganz nebenbei lernen die Leser mich durch meine Texte irgendwie besser kennen.
  • Ein Kurs im Kreativen Schreiben setzt Kreativität frei, die später, wie auch immer, genutzt werden kann.
  • Wenn ich schreibe, bin ich nicht mehr ich selbst. Eine Welt, die mir zuvor fremd schien, offenbart sich als ganz natürlich und normal. Nichts scheint unmöglich oder verboten, die Gedanken und die Hand sind frei.
  • Kreatives Schreiben übt den Vorgang, das, was im Kopf ist, aufs Papier, in Linienform zu bringen. Immer mehr entwickelt sich eine eigene Stimme, die auch bei anderem (nicht-kreativen?) Schreiben zum Tragen kommt.
  • Warum konnte ich jetzt auf einmal wieder schreiben, als wäre nie etwas gewesen?

Kreatives Schreiben hat viel mit Ausdruck, mit persönlicher Weiterentwicklung, mit größer werdender Schreibkompetenz im Allgemeinen zu tun. Kreatives Schreiben in der Gruppe führt zu intensiven Begegnungen, übt das Wechseln zwischen Autoren- und Leserperspektive, steigert das Sprachgefühl und ist ein Erfahrungsraum für Textfeedback geben und nehmen, es fördert das Gehörtwerden. Beim Kreativen Schreiben steht – in meiner Sicht – der Prozess des Schreibens im Vordergrund. Nichtsdestotrotz entstehen Texte, um die es schade wäre, wenn sie nicht geschrieben worden wären. Deshalb lohnt es sich sehr, auch für Nicht-Hausfrauen, auch für Menschen, die das Schreiben nicht in irgendeiner Weise zu ihrem Beruf machen wollen. Dazu kommt, dass es Spaß macht.

Kreatives Schreiben ist eine Beschäftigung, die an vielen Orten, in vielen Zusammenhängen, mit verschiedenen Beweggründen ausgeführt werden kann. Es ist etwas zutiefst Menschliches. Ich will darauf nicht mehr verzichten. Und Sie?

So dichte ich

Zur Zeit bin ich schreibend stark damit beschäftigt, Gedichte zu schreiben. „Richtige“ Gedichte, was immer das sein könnte, keine Wort- und Schreibspielereien, keine Elfchen, Zevenaare oder Bulldozer-Gedichte. Diese Gedichte sollen wachsen, sich entwickeln dürfen, ich arbeite so lange daran, bis ich glaube, besser kann ich es im Moment nicht ausdrücken, Form und Inhalt passen so gut wie mir möglich zusammen. Deshalb haue ich die neuen Texte nicht einfach so raus, so dass es im Blog ein wenig ruhiger geworden ist.

Immer deutlicher wird mir: Ich unterscheide klar für mich zwischen kreativem Schreiben – schnell, spontan, spielerisch -, wie ich es mit großer Freude in Schreibwerkstätten und manchmal auch für mich allein praktiziere, von Gedichte schreiben im obigen Sinn. Doch wie gehe ich vor, wenn ich dichte?

1. Ist da eine ganz vage Idee, ein Thema, ein Bild, eine Situation, eine Wendung. Sie kommt von irgendwo her in meinem Kopf, spuckt darin herum und begleitet mich ein paar Stunden oder Tage, je nach dem. Im Geist finde ich Formulierungen, Textfragmente, die ich erprobe.

2. Kommt der Moment, an dem ich weiß, das Gedicht hat eine Gestalt gefunden. Mir ist diese Gestalt noch nicht klar, ich sehe sie noch nicht, spüre nur, dass sie da ist. Dann greife ich zu Bleistift und Papier. Ich schreibe drauf los, aus dem Bauch heraus, lasse die Worte aufs Papier fließen. Die Zeilenumbrüche, der Rhythmus, der Klang ergeben sich von allein.

3. Manchmal reicht ein Anlauf, um das, was sich in meinem Kopf gebildet hat, aufs Papier zu bringen, manchmal setze ich zwei-, drei-, viermal neu an, schreibe mit etwas Abstand einfach weiter. Wenn das Gerüst handschriftlich klar ist, muss es in den Computer übertragen werden: Ich muss sehen, ob es gedruckt „richtig“ aussieht.

4. Beim Abtippen verändert sich automatisch das eine oder andere Wort, mit den Zeilenumbrüchen und der Einteilung in Strophen spiele ich so lange herum, bis es stimmt. Manchmal bekommt das Gedicht dann auch einen ersten Titel, manchmal bleibt es zunächst titellos.

5. Jetzt brauche ich Abstand: Das Gedicht wird gespeichert – wenn es noch keinen Titel hat, ist das Finden eines Dateinamens eine Herausforderung -, der Computer wird ausgeschaltet. In meinem Kopf begleitet mich das Gedicht weiter, aber weniger im Vordergrund, weil es jetzt ja festgehalten ist und nicht mehr verloren gehen kann. Zu dem Zeitpunkt bin ich mir so klar über mein Gedicht, dass ich es auch, wenn es sich ergibt, ausgewählten Menschen zeigen kann. Rückmeldungen höre ich und nehme sie auf: Sie helfen mir, mein Gedicht besser zu verstehen, klarer zu sehen.

6. Nach einer Pause bekomme ich den Drang, das Gedicht zu perfektionieren, fertig zu stellen. Dazu ist es gut, wenn ich es ausdrucke: So kann ich es mitnehmen, habe es immer vor Augen, wenn mir eine Idee kommt. Manchmal kritzle ich viele Alternativformulierungen dazu, manchmal bleibt das allermeiste wie es am Anfang war. Oft probiere ich auch herum, um am Ende doch zu der Ursprungsversion zurückzukehren. Es ist die Erprobungsphase für das Gedicht. Dadurch dass alles auf dem Papier passiert, geht keine Version verloren.

7. Eine Fleißarbeit ist es, die endgültige Version in die Computerdatei einzugeben, denn für mich ist nun alles klar und fertig. Dann bin ich damit durch, warte auf Inspiration oder hatte sie schon und schreibe das nächste Gedicht.

Grauenvolle Schreiborte

Wie wird Schreiben zum Abenteuer? Darüber dachte Lucia nach und kommt an erster Stelle auf die Idee, einen unwirtlichen Ort zu wählen: „wo du dich nicht wohlfühlst und nur unter Grauen hingehst. Genau da werden existentielle Texte entstehen.“

Ich bin ja noch immer bei der Angst, existentielle Texte wollen wir doch. Deshalb: Was sind die grauenvollsten Schreiborte, die wir uns vorstellen können? Wo und bei welchem Ambiente bin ich in der Lage, die existentiellsten Texte zu schreiben? Fünf erste Ideen:

– im lieblos kargen Speisesaal im Keller eines Gästehauses, am besten wenn ich Zeitdruck habe, bis der Text fertig sein muss, und um mich herum Menschen kichernd und quatschend Sahnetorte essen, mir aber Filterkaffee nicht schmeckt

– auf einem Schiff, das durch den Nebel rauscht, zwischen einer Ausflugsgruppe schwäbischer Freundinnen und einer Grundschulklasse, die mit einer Lehrerin gesegnet ist, die die Kinder rücksichtsvoll anhält, leise zu sein

– in der mittlerweile rauchfreien Kneipe, in der wir uns zum ersten Mal geküsst haben, mit dem Stift, den er mir geschenkt hat und mit dem ich die Hochzeitseinladungen unterschrieben habe, auf rosa Papier, am Tag der Trennung

-in einer grauen, kalten Bruchbude in einer mir fremden Umgebung, zwischen Müllsäcken, Modergeruch und Tieren, die ich nicht benennen kann, wenn ich nicht weiß, ob noch andere Menschen in der Nähe sind und, wenn ja, was für welche

– in einem langen Amtsflur zwischen Horden von Gleichstellungsbeauftragten, frustrierten Alt-68ern und weißhaarigen Bürokraten, hinten auf das Zettelchen mit der Nummer 374

Es geht noch mehr …

Wovor man sich fürchten kann …

Angst schreiben war angesagt, ich habe berichtet. Hier ein ABC angsteinflößender Dinge:

Adventskalender
Bilderrahmen
Clowns
Drachen
Edelsteine
Fingerringe, besonders aus
Gold, Gartenscheren
Holunderbüsche
Intimsprays
Jeansjacken
Körbe
Lampions
Musterhausküchen
Nylonstrümpfe
Orgelpfeifen
Parkettböden
Quarkspeisen
Rettungswesten
Steine
Unterhosen, lange
Veilchen
Wassergläser
Xerox-Kopierer
Yachten nicht, das ist zu billig
Zettelkästen und Zitronen