Schreiben und Schreiben – zwei paar Stiefel

Es gibt so Zeiten, da passiert allerhand. Mensch ist abgelenkt, schafft vor sich hin und plötzlich sind Wochen vorbeigerannt, in denen kein Wort geschrieben wurde. So ging es mir mit Beginn der Osterferien, so dass hier im Blog seit langem das Ostereigedicht bunt vor sich hinleuchtet. Doch nicht nur beim Blogschreiben passiert das, auch bei anderem Kreativen Schreiben.

Natürlich habe ich nicht kein Wort geschrieben: Es entstanden viele E-Mails, ein Protokoll, Kursunterlagen, offizielle Briefe, Einkaufszettel und vieles mehr, dazu habe ich die zwei Wörter meines Namens unzählige Male von Hand auf Papiere aller Art gesetzt. Doch all dies meine ich nicht, wenn ich sage: Ich habe geschrieben. Nach Geschrieben-Haben fühlt es sich an, wenn ich ein Gedicht schreibe, einen Slam-Text, einen Blog-Beitrag, … Auch wenn ich einen Sachtext schreibe einfach nur, weil es mich interessiert.

Schreiben heißt für mich kreativ werden und aus einem inneren Antrieb heraus Wörter setzen. Texte, die ich aus irgendeinem Grund irgendwo abliefern muss, fallen nicht darunter. Auch nicht, wenn mir das Schreiben Spaß macht, und obwohl jedes Schreiben auch kreativ ist, wie ich es hier einmal beschrieben habe. Schreiben heißt, mich ausdrücken und dafür auch die jeweilige passende Form wählen. Irgendwie gibt es Schreiben und Schreiben. Das eine passiert automatisch immer wieder, ohne das andere fühle ich mich auf Dauer nicht wohl.

Doch weil dieses andere Schreiben eben nicht automatisch passiert, kommt es immer wieder mal zu kurz. Rituale schaffen, Gewohnheiten bilden ist hilfreich, damit das nicht zu oft passiert. Sich selbst ein wenig Druck oder Außenkontrolle aufzubauen auch – z.B. mit Gruppentreffen, bei denen man einen Text mitbringen „muss“, oder mit einem Blog, wo jeder sieht, wenn es nichts Neues gibt. Aber das Wichtigste ist wohl: Irgendwann merke ich, dass etwas fehlt. Irgendwann sehne ich mich wieder danach zu sagen, ich habe etwas geschrieben. Dann heißt es nicht zaudern oder mich mit Selbstvorwürfen weiter abzulenken. Dann ist es am besten, ich schreibe sofort.

Vorösterliches Gedicht: Mein Tag

Heute
putzte ich
mein Fenster fast
blank, trotz Regen, denn
Ostern klopft schon wieder
an und Oma hat immer
vor Ostern geputzt
damit bunt leuch
ten die Eier

 

(Ich habe es nicht so genau genommen mit der Silbenzahl, altes Problem mit der deutschen Sprache: Die Silben können sehr unterschiedlich breit sein. Hauptsache das Ganze sieht aus wie ein Osterei.)

Schreibt!-Raum 14: Ostereier

Bei Tinas Tag gibt es einen flotten Artikel zum Thema Ostertage mit Kindern. Da es mir schon schlecht wird, wenn ich nur darüber nachdenke, Eier auszupusten, um sie zu bemalen und an Zweige zu hängen, kam mir die Idee, Ostereier-Gedichte zu schreiben. Das Wetter soll ja ungemütlich sein, also kuscheln wir uns aufs Sofa, zücken den Bleistift und malen mit Buchstaben.

Ostereier-Gedichte heißen normalerweise Schneeball. Das ist ein Gedicht, bei dem erst jede Zeile eine Silbe länger wird als die vorherige, danach wird stetig wieder abgebaut. Da ich Silbenzählen sowieso liebe, kommt mir das entgegen. Der ganze Text muss natürlich noch zentriert gesetzt werden, damit es auch wirklich wie ein Ei aussieht, mit wie vielen Silben man beginnt und bis zu wie vielen Silben man das Gedicht ausbaut, kann man je nach Schriftgröße und Zeilenabstand danach entscheiden, wie es gut aussieht. Wer die Möglichkeiten seines Textverarbeitungsprogramms noch mehr ausnützen will, kann mit verschiedenen Schriftfarben für noch mehr Ostereier-Feeling sorgen.

Also: Mit verklebten Fingern vergeblich versuchen, Wollfäden auf Eierschale anzubringen, die gesamte Wohnung von Farbklecksen befreien oder einfach ein Osterei-Gedicht schreiben? Sie haben die Wahl.

Sonntags-Gedicht: Frühe Vögel im März

Das Vogelkonzert spielte exakt 37 Minuten
zweimal an- und wieder abschwellend
die ganze Zeit Träume und Schnauben
des Gatten daneben übertönend

9 Minuten Ruhe, dann, der Wecker
hätte 6:11 gezeigt, wenn sie geschaut
hätte, der Alltag der Musikanten
ein Trillern, Zwitschern und Pfeifen

Jubilierende Geschäftigkeit
zwischen Frühling und Frühstück
am Samstag

Verspiegelt

Nun, wie erging es Ihnen letzte Woche?

Ja, wie soll ich sagen, es geht so, also, jetzt, wo es abends wieder so früh dunkel wird …

Ist Dunkelheit ein Problem?

Nein, nicht direkt, es ist nur so, meine Frau

Ihre Frau? Macht Sie Druck?

Nein. Es gibt immer noch keinen Spiegel in unserem Haus und ich helfe ihr morgens die Haare zu richten. So war ja die Absprache.

Was ist dann das Problem mit Ihrer Frau?

Nun, sie hat mich Einkaufen geschickt.

Verstehe. Ins Bekleidungsgeschäft?

Nein, nein. Sie bringt mir doch alles, was ich brauche: Hemden, Schuhe, Unterwäsche. Sie weiß ja, dass ich da nicht rein kann. Und ich muss mich sowieso darauf verlassen, dass das, was sie sagt, gut an mir aussieht, weil ich kanns ja nicht sehen und …

Wo hat sie Sie denn hingeschickt?

Nicht direkt geschickt, gebeten. Kartoffeln zu holen. Die waren aus und sie hatte es vergessen, welche zu kaufen.

Kartoffeln? Was ist das Problem mit Kartoffeln?

Kartoffeln sind kein Problem, die gehen gut. Sie sind knollig und dreckig, besonders die Bio.

Aber?

Es war halt schon so spät, schon nach 19:00 Uhr. Da hat nur noch der Edeka auf.

Bei Edeka gibts Spiegel?

Nein, zumindest nicht im Kundenbereich … Ich fange schon wieder an zu schwitzen.

Gut, dass Sie es spüren. Wo merken Sie es noch?

Ja, ich, mein Herz klopft schneller und die Hände sind feucht. Atmet laut. Und unter den Achseln – ich spüre, da sind Schweißflecken, die muss ich gar nicht sehen. Und jetzt fängt auch noch mein rechtes Auge an zu zucken.

Erinnern Sie sich an das Bild?

O.k., das Bild. Ich sehe es vor mir. Eine weiße Fläche, eine unebene weiße Fläche, eine Wand – atmet wieder ruhiger – es geht wieder.

Prima. Sie haben schon sehr gut gelernt, sich zu beruhigen. Da können wir bald das Desensibilisierungsprogramm starten. Kommen wir zurück zu Edeka.

Desensibilisierung? Ich geh abends nicht zu Edeka. Da sind lauter Schaufenster, überall, schon auf dem Weg!

Die weiße Wand, sehen Sie die weiße Wand? Gut. Atmen Sie noch einmal tief aus – und wieder aus. Die weiße Wand. – Nun treten Sie gedanklich aus Ihrer Wohnung. Es ist der 14. November, 19:10. Ihre Frau hat Sie gebeten, Kartoffeln zu kaufen. Sie mögen Kartoffeln, es ist Ihr Abendessen. Sie haben Hunger.

Der Sikomat stand schon bereit.

Der Sikomat steht bereit. Ihre Frau wartet auf Sie. Sie braucht Ihre Hilfe.

Ich gehe aus dem Haus. Ich grüße den Nachbarn. Ich gehe nach rechts, links ist eine Sackgasse. Ich ignoriere die parkenden Autos, schaue rechts unten die Häuserwand an. Alles geht gut. Ich biege um die Ecke. Noch eine Ecke.

Sehr gut, Herr Müller, sehr gut. Sie gehen um die zweite Ecke. Wo sind Sie jetzt?

Ich weiß nicht, ich muss mich orientieren. Ich, ich hebe den Blick, ich, da

Herr Müller? Herr Müller! Atmen! Ausatmen. Die Wand, sehen Sie die weiße Wand und ausatmen.

Ich … ich muss aufs Klo.

Ja, bitte, gehen Sie. Soll ich Sie begleiten?

Aufs Klo. Nicht hier. Niemals … ich … Bis nächste Woche.

 

(Ist frei erfunden, passt gerade aber trotzdem irgendwie hierher. Und ja, ich weiß: Ich hab mich rausgemogelt. Ideen, wie’s weitergeht oder wovor Herr Müller denn nun genau Angst hat und warum, sind willkommen.)

Öffentlich schreiben

Durch die Weiten des WWW und dann doch wieder vor Ort gelandet: Von Link zu Link bin ich auf dem Blog von Christine Finke gelandet, die unter dem Motto Mama arbeitet „aus dem Leben einer berufstätigen Alleinerziehenden“ berichtet. Obwohl Konstanz ein Dorf ist, glaube ich, wir kennen uns (noch) nicht. Beim Stöbern fallen mir einige Artikel auf, deren Themen mich interessieren, so dass ich sicherlich nun regelmäßig vorbeischauen werde.

Ihr aktueller Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, wie öffentlich darf ein privater Blog sein. Eine Frage, die auch mich immer wieder beschäftigt, obwohl mein Blog hier, der sich rund um mein und das Schreiben an sich dreht, wenig privat ist im Vergleich zu dem einer bloggenden Mutter. Trotzdem: Wie stelle ich mich dar, wie zeige ich mich in dem, was ich schreibe? Und wem? Während ich im übrigen Leben genau differenziere, welche Person welche Texte von mir zu lesen bekommt, habe ich das hier nicht unter Kontrolle. Besser gesagt: Alle sehen dasselbe von mir. Möglicherweise ziehen sie unterschiedliche Schlüsse daraus. Interessant ist, dass ich gegenüber mir völlig Fremden viel weniger Skrupel habe als gegenüber entfernten Bekannten – Nachbarn, Briefträger, Großcousinen, SportlehrerInnen und Co wissen möglicherweise mehr von mir, als ich ahne.

Christine Finke schreibt, sie sei „Überzeugungstäterin: ich schreibe, um mich auszudrücken.“ Damit hat es etwas zu tun, wenn ich es trotzdem tue. Ausdrücken erinnert an pickelige Pubertät: Es muss etwas raus, auch wenn es vielleicht nicht klug ist. Wer wurde nicht vor bleibenden Narben gewarnt und hat weiter gedrückt? Geheimes Tagebuch zu schreiben ist noch einmal etwas anderes, es geht auch um Öffentlichkeit, vielleicht um Öffnung, darum sich mitzuteilen und gelesen zu werden. Wahrscheinlich kommt eine Portion Sendungsbewusstsein dazu, der Glaube, das was einen selbst beschäftigt, könnte auch für andere interessant sein. Zumindest erklärt dies das zufriedene Gefühl bei Zuschriften a la „Deinen Blog zu lesen ist sehr anregend“.

Als ganze Person zu schreiben, sich zu zeigen und damit vielleicht auch verletzlich zu machen, ist wohl authentisch. Das tut gut und ist darüberhinaus gefragt. Mehr Mut, das was ich denke auch aufzuschreiben und unter meinem Namen öffentlich zu machen, habe ich bekommen, als ich letzte Woche bei der Lesung von Wladimir Kaminer im Konstanzer Stadttheater war. Also blogge ich weiter, als Schreibende, als Frau, als Mutter – Sie werden sehen.