Schreiben in einem Zug

Das Cafe als Schreibort wird regelmäßig propagiert und wohl auch genutzt. Auch ich habe schon in Cafes geschrieben und finde, das hat was – auch wenn ich nicht gleichzeitig schreiben und Milchschaum löffeln kann. Noch viel besser und lieber schreibe ich allerdings in der Bahn.

Geschäftsleute machen dies jeden Tag, wenn auch auf den meisten Laptops, die in ICEs aufgeklappt sind, entweder Filme oder Spiele laufen. Ich habe festgestellt, dass für persönliche, biografische Texte, für Themen, die mir nahe gehen, die Bahn ein guter Schreibort ist. Es ist, wie wenn sie dadurch ihre Bedrohlichkeit verlieren, wie wenn ich die Angst nicht haben muss, von meinen inneren Bildern, Erinnerungen und Gefühlen überschwemmt zu werden. Die Realität kommt spätestens beim nächsten Bahnhof oder mit dem Zugbegleiter wieder.

Die Mischung aus Anonymität und Nicht-Alleinsein ist bestimmt ein wichtiger Aspekt, warum es funktioniert: Ich muss mich nicht einsam fühlen, bin unter Leuten und doch irgendwie für mich. Das gilt genauso fürs Cafe.
Dazu kommt die Wartezeitüberbrückung. Normalerweise fahre ich mit dem Zug, um von A nach B zu kommen. Die Zeit, bis ich endlich ankomme, kann ich so sinnvoll nutzen, vor allem wenn ich öfter die gleiche Strecke fahre, für deren landschaftlichen Reiz ich nicht mehr empfänglich bin. Wäre ich Berufspendlerin und säße jeden Morgen 30 Minuten in der Bahn, hätte ich meine tägliche Schreibübung ganz leicht in meinen Alltag integriert. Lesen ist der übliche Zeitvertreib beim Warten, auch beim Arzt oder bei der Stadtverwaltung, doch schreiben ist produktiver.

Eine Sache, die nur für Züge (und Busse und Schiffe) gilt, und nicht für Cafes und Wartezimmer, ist das Unterwegssein. Beim Schreiben bin ich innerlich unterwegs, bewege mich durch meinen Text, egal ob es eine Geschichte oder ein Sachthema ist. Schreiben ist Bewegung, Texte sollen bewegen. Deshalb glaube ich, dass die Tatsache, dass der Zug fährt, dass er mich von einem Ort zum anderen bringt, es mir leichter macht zu schreiben. Bin ich im Schreibfluss, rauschen die Worte aufs Papier wie der ICE über die Gleise. Bleibe ich stecken mit meinem Text, kann ich meinen Blick schweifen lassen und mich von den Bildern, die sich ständig verändern, neu inspirieren lassen. Und in all den Zeiten, in denen ich nicht schreiben kann, weil ich meine Sachen einpacken muss, umsteigen muss oder weil der Schaffner kommt oder mein Sitznachbar aufs Klo muss, arbeitet mein Text in mir weiter.

Bald darf ich wieder eine lange Zugreise machen und werde sehen, wie viel ich dann schreibe. Und so ist es auch nicht schlimm, wenn es leider mal wieder wenige Minuten Verspätung gibt.

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