Kuso17 – Loslegen

Das Loslegen verzögert sich. Nach einer sehr schlafarmen, aber gedanken- und glockenreichen Nacht im ungewohnten Ambiente den Morgenimpuls verschlafen. Einzelne Bassklarinettentöne kommen von der Kirche her durchs geöffnete Fenster. Oder ist es ein Basssaxophon? Beim Frühstück lande ich plötzlich zwischen zwei Meistern, die als Meister erkannt werden wollen. Tut mir leid, ich bin übermüdet und kann damit nicht dienen. Mich erreicht die Nachricht einer Schießerei in einer Konstanzer Diskothek. Dass diese Nachricht nichts mit mir zu tun haben scheint, zeigt mir, wie weit ich gestern den Alltag hinter mir gelassen habe. Dann, endlich, der richtige Beginn in der Klasse. Wir legen mit Reden los. Nach einer kurzen Vorstellungsrunde, bei der sich eine spannende Klassenzusammensetzung zeigt, spielen wir „Original oder Übersetzung“ und argumentieren bei vielen Gedichten falsch. Abwechselnd wehen Einsingübungen des Chors und Instrumentalklänge der Jazzer in unseren Salon, ansonsten bleiben die anderen Künste an diesem ersten Tag außen vor. Die Komplexheit der Aufgabe „Lyrikübersetzung“ wird fassbar, das profunde literaturwissenschaftliche, mythologische, kulturgeschichtliche Wissen mancher Gruppenteilnehmer/innen schüchtert ein. Ich halte mich eher zurück, bin vom vielen Reden und Nachdenken angestrengt, merke aber, wie meine Schreiblust wächst und dass ich die anderen gerne poetisch kennenlernen möchte.

Die Hausführung erspare ich mir wie schon beim ersten Mal. Zu übermächtig erscheint mir die Geschichte des Hauses, noch näher als unvermeidlich möchte ich sie nicht an mich heranlassen. Stattdessen schnappe ich mir einen Liegestuhl im Schatten des Innenhofs und lasse die ersten Stunden schreibend noch einmal nachwirken. Eine liebe Bekannte kommt mir in den Sinn, die Jugendbücher aus dem Englischen übersetzt, und der Impuls, ihr zu schreiben.

Den Nachmittag starten wir schließlich mit schreiben. Wir übersetzen ein kurzes wortspielerisches Gedicht und haben mit der Vielfalt der Lösungen großen Spaß. Die Theorie des Vormittags wird zur praktischen Erfahrung. Einfach ist es nicht, doch das hat ja auch niemand behauptet. Dieses einfache, aber nicht einfach zu übersetzende, Minigedicht zu übersetzen oder nachzudichten oder beides ist eine spannende Herausforderung. Doch so richtig meins ist es wohl nicht. So sehr ich die Auseinandersetzung mit Sprachen und Unterschieden und Sprachkulturen schätze, so sehr will ich mit diesen Sprachen spielen, sie erkunden, sie erspüren, aber nicht eine in eine andere übertragen. Vielleicht bin ich aber auch nur nicht akribisch genug, denn auch zu intensive Textarbeit ermüdet mich schnell. Es gibt die Kopf- und die Spürebene, und ja, wenn ich mit dem Kopf genau und lange genug arbeite, kann das Spüren auch besser gelingen. Doch vielleicht ist für mich die Lyrik das Gegenstück zu meiner verkopften Arbeit, zu meinem verkopften Sein. Vielleicht schreibe ich eher intuitiv und dadurch in seinem nicht stringent durchdachten, fehlerhaften auf meine Weise gut. Vielleicht tut es mir gut, mir hier einmal zu erlauben, nicht gut sein zu müssen, oder wenigstens nicht sehr gut.

Ein Gewitterhagel prasselt auf das Abendessen im Garten und lässt die Gespräche für kurze Zeit verstummen. Die Sonnenschirme halten dicht, zu den Füßen bilden sich tiefe Pfützen. Doch bald schon geht es weiter im Programm. Da die Abendwerkstatt heute die Lesung von Uljana ist, bleibe ich beim Thema. Von sprachlicher Selbstfremdwerdung ist die Rede, von falschen Freunden, Fehlern und ihren Möglichkeiten. Davon dass das Perfekte uns stocken lässt, während Fehler zu neuen Fehlern und so für Bewegung sorgen. Von der Übermacht des Englischen in unserer Welt, der Weigerung, dieses Spiel mitzumachen, und der vermeintlichen Unfähigkeit, in einer Zweitsprache zu dichten. Es gibt noch vieles zu erkunden die nächsten Tage, und ich bin froh, dass ich mich heute erstmal nur auf die Lyrik konzentrieren konnte. Der Kunstsommer ist reich, zu reich manchmal. Es tut besser, sich nicht vollkommen überfluten zu lassen

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